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ATHEN/ Athens Epidaurus Festival / Peiraios 260 Thanasis Dovris: SOTIRIA von Chara Romvi. Ich kaufe, also bin ich!

19.06.2025 | Theater

Athens Epidaurus Festival / Peiraios 260

Thanasis Dovris: Sotiria 

Premiere am 19. Juni 2025

Ich kaufe, also bin ich

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Foto: Epidaurus- Festival

„I believe that literature provides the deepest understanding of society and the human condition,“ sagte Chara Romvi in einem Interview. Die 1985 in Athen geborene Autorin hat vor zwei Jahren den Kurzgeschichtenband „Sotiria“ herausgebracht. Die sechs Geschichten erzählen von Helden des Alltags, beschreiben die 1980er und 90er Jahre in Griechenland. Diese jüngste Vergangenheit kam durch die Erfahrung der Finanzkrise stärker in den Fokus, wobei der kollektive Rückblick auf die „guten Jahre“ mal eher nostalgisch, mal mehr kritisch ausfällt. In jedem Fall, und das muss sich wohl auch Romvi gedacht haben, verrät ein Blick auf diese Periode viel über das griechische Selbstverständnis und die gesellschaftlichen Veränderungen, die Griechenland in den vergangenen Jahrzehnten durchlaufen hat. Die Geschichte von „Sotiria“ ist die zweite des Buchs. Der Regisseur Thanasis Dovris bringt diese Erzählung nun im Rahmen des Athens Epidaurus Festival auf die Bühne. Er erfährt dabei dramaturgische Unterstützung durch die Autorin Chara Romvi. Man erlebt den Monolog einer Frau mittleren Alters.

In „Sotiria“ erzählt Romvi von einer Frau, die 1979 ein Eheversprechen aufkündigte, um ihrem späteren Mann nach Athen zu folgen. Sotiria ist in einer ländlichen Region aufgewachsen, entstammt einfachen Verhältnissen. Sie musste schon früh auf den Tabakfeldern arbeiten. Der Vater ist ein Kriegsversehrter, der mit harter Hand die Familie regiert. Ein Bruder starb als Baby. Die Heirat ermöglicht Sotiria, dem monotonen Landleben zu entkommen. In Athen lebt sie mit ihrem Mann Nikos ein recht unerfülltes Leben. Eine Liebesheirat war es nicht, die die beiden zusammenbrachte. Und ohne berufliche Tätigkeit werden die täglichen Supermarktbesuche Sotirias zu den Höhepunkten ihres gleichförmigen Alltags. Im Konsum findet sie Abwechslung und Vergessen. Romvis Kurzgeschichte bündelt die Momente eines Lebens in der Darstellung einer Nacht, welche die Heldin unfreiwillig eingeschlossen in einem Supermarkt verbringt. Die Situation lässt Ängste und Erinnerungen aufkommen und bringt Schlüsselerfahrungen zu Tage. Zwischen Fertigkuchenpackungen und Putzmitteln zieht an Sotiria ihr Leben vorüber, wird ihre fragile Position als Ehefrau und Zugezogene sichtbar. Die Frau im Supermarkt ist dabei das Sinnbild einer Existenz, die in einer kapitalistischen Illusion von Glück gefangen ist. 

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Foto: Epidaurus- Festival

Die Ausstattung von Alegia Papageorgiou führt uns zurück in die 1990er Jahre. Der Supermarkt ist mit wenigen Requisiten wie einer Eistruhe, Einkaufswagen und Werbeplakaten überzeugend auf die Bühne gebracht. Angelegt ist er wie ein Laufsteg, auf dem Sotiria ihr Leben reflektiert und präsentiert. Thanasis Dovris setzt gekonnt auf die Kraft der Erzählung. Nur einmal, als es um einen Traum der Titelheldin geht, springt ganz postdramatisch der Regieassistent auf die Bühne, erklärt, man habe keine Darstellung für die Szene gefunden, und liest die entsprechende Passage aus dem Buch vor. Drei nahezu stumme Akteure treten als Supermarktpersonal in Erscheinung. Dovris und Romvi haben die Kurzgeschichte zu einem eindrücklichen, einstündigen Monolog umgestaltet. Im tollen Bühnenraum entfaltet sich die tragisch-komische Geschichte von Sotiria auf das Beste. Und dies natürlich auch, weil mit Maria Parasiri eine wunderbare Schauspielerin auf der Bühne steht. Sie versteht es unterschiedliche Tonlagen anzuschlagen und mit kleinen Gesten den Raum zu füllen. In einer kurzen Szene wird es politisch: Sotiria schaut sich Fernsehnachrichten an, wo von der Rückständigkeit des griechischen Zugnetzes und der Bombardierung Beiruts durch Israel die Rede ist. Man fühlt sich als Zuschauer sicher nicht zufällig an heute, an Gaza und Tempi erinnert. Am Ende, wenn die Aufführung in eine Art magischen Realismus kippt, legt sich Parasiri zwei mit Supermarktprodukten bedeckte Kostümstücke um. Sotiria erscheint dann wie ein hilfloser Vogel, gefangen in einer Welt des Konsums. Ein starkes, poetisches Schlussbild.

Das Publikum folgt dem Geschehen aufmerksam und mit Lachern. Am Schluss gibt es langanhaltenden Beifall für alle Beteiligten und zahlreiche Bravorufe für Maria Parasiri.

Ingo Starz (Athen)

 

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