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ATHEN/ Athens Epidaurus Festival / Peiraios 260: „Songs of the Greek People – Drag Oratorio“ von Giannis Konstantinidis

18.06.2024 | Oper international

Athens Epidaurus Festival / Peiraios 260

Songs of the Greek People – Drag Oratorio

Besuchte Vorstellung am 17. Juni 2924

Zwei Seelen in einer Brust

niko

Er zählt zu den bekanntesten griechischen Komponisten des letzten Jahrhunderts: Giannis Konstantinidis. 1903 in Smyrna geboren, ging Konstantinidis 1923 nach Berlin, wo er bis 1930 blieb. Er studierte unter anderem bei Kurt Weill und arbeitete als Pianist in Kabarett- und Filmvorführungen. Der junge Komponist lernte in Berlin seinen Landsmann Nikos Skalkottas kennen, der Schüler von Arnold Schönberg war. Unter dem Pseudonym Costa Dorres trat er mit „Der Liebesbazillus“ 1927 in Stralsund als Operettenkomponist in Erscheinung. Ab 1931 lebte und wirkte er in Athen. Bekannt wurde er in Griechenland vor allem mit populärer Musik. Während er seine klassischen Kompositionen mit seinem richtigen Namen zeichnete, verwendete er für die Unterhaltungsmusik das Pseudonym Kostas Giannidis. Dieser Namenswechsel macht augenscheinlich, dass da zwei Seelen in einer Brust schlugen.

Queerthemen finden sich in den letzten Jahren häufig auf Athener Bühnen. Und von Giannis Konstantinidis weiss man, dass es er auch als Crossdresser in Erscheinung getreten ist – wiederum kõnnte man vielleicht von zwei Seelen in einer Brust sprechen. Es macht also aufgrund der Biografie des Komponisten durchaus Sinn, sich mit einer Drag-Ästhetik dem Thema anzunähern. Der Abend gibt zwar ein paar poetisch-verspielte wie fiktive Texthinweise zu Konstantinidis, ist aber doch in erster Linie ein szenischer Liederabend. Man könnte den von Giannis Skourletis arrangierten Abend als Konzertinstallation bezeichnen. Die Zuschauer sitzen zu beiden Seiten eines Laufstegs, der aus einem langen Streifen Erde besteht. Auf der einen Schmalseite findet sich ein Zelt – es könnte an Kleinasien, Smyrna, den Ort der Herkunft erinnern -, auf der anderen ein Piano. Das Musizieren und Singen ist gleichsam hierin aufgehoben und eingebettet. Ein Video zeigt dem Publikum das Geschehen im Zelt, aus dem stumme Gebärden dringen. Allzu viel passiert in diesem Setting (Konstantinos Skourletis) nicht. Es dient wohl mehr dazu, den musikalischen Ausdruck zu verstärken. Die stimmliche Darbietung der Lieder von Begehren, Liebe und Einsamkeit – die klassischen, der musikalischen Moderne verpflichteten wie die unterhaltenden – erreicht selbst eine aussergewöhnliche performative Qualität. Verwandlung und Maskierung werden zu Leitmotiven der Aufführung.

Dem Titel „Songs of the Greek People – Drag Oratorio“ folgend wird diese Musiktheaterproduktion massgeblich von der Musik bestimmt und getragen. Schreitende Bewegungen, grosse und kleine Gesten, Langsamkeit und opulente Kostüme (Dagiara) zeichnen die Darbietung aus. Drag bestimmt die Szene: Dagiara bleibt stumm und verlässt erst gegen Ende das Zelt und bricht auf dem Laufsteg zusammen, Nina Nai alias Georgios Iatrou bietet, man möchte fast sagen hoheitsvoll schreitend, die Lieder dar. Der musikalische Part ist ausgezeichnet. Iatrous Bariton interpretiert die Lieder mit ausdrucksvollem Ton und Sinn für feinste Klanggesten. Yorgos Ziavras begleitet souverän am Klavier und trägt auch die erwähnten, kurzen Texte vor. Die Aura von Giannis Konstantinidis‘ Musik kann sich bestens entfalten. Es wäre allerdings schön gewesen, wenn das Szenische ab und zu aus der strengen Spielanordnung ausgebrochen wäre und etwas Gegenwart oder Verstörung gezeigt hätte. Es ist aber in jedem Fall ein Abend, der nachklingt.

Das Publikum zeigt sich angetan von dem besonderen Projekt und spendet am Schluss reichlich Applaus. 

Ingo Starz (Athen)

 

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