Athens Epidaurus Festival / Peiraios 260
Panagiota Kallimani: Somehow, if not, at all, together
Besuchte Vorstellung am 29. Juni 2024
Copyright: Epidaurus-Festival
Dass sich die Wahrnehmung dessen, was sich ereignet, vom Blick des Betrachters abhängig ist, ist nichts Neues. Theater als darstellende Kunst liegt immer im Auge des Betrachters. Jeder sieht letztlich etwas anderes. Oder anders gesagt: Es gibt keine zweite Person, die genau dasselbe sieht. Eine Performance kann sich diese Erfahrung zu Nutze machen, gleichsam zur Spielvorlage machen. Panagiota Kallimani, die auf eine lange künstlerische Tätigkeit als Tänzerin und Choreografin in Griechenland und im Ausland zurückblicken kann, geht in ihrer Arbeit „Somehow, if not, at all, together“ von diesem Wahrnehmungsmoment aus. Das Ergebnis ist ein Tanztheaterstück über Paarbeziehungen, alltägliche Routinen und den unterschiedlichen Blick darauf.
Das Bühnenbild von Maria Panourgia zeigt nebeneinander zwei Räume, die sich spiegelbildlich gleichen. Sie sind mit einem Tisch, zwei Stühlen, einer Kommode und einer Stehlampe ausgestattet. An der Rückwand befindet sich eine Tür. Erst sehen wir in beiden Räumen ein offensichtlich heimkehrendes Paar, vielleicht eines, das sich erst kennengelernt hat. Stürmisch fällt die Ankunft aus, eine Flasche Wein führen die Liebenden mit sich. Kleidungsstücke fallen zu Boden. Zunächst gleichen sich die Abläufe in beiden Räumen, später zeigen sich Unterschiede in dem, was vor unseren Augen geschieht. Eine Frühstücksszene mit Tee am Tisch folgt. Sie wird recht oft und fast schon genussvoll wiederholt und schliesslich weichen die beiden Szenerien deutlich voneinander ab. Zudem macht sich eine unangenehme Anspannung in den Räumen breit. Nach Gleichlauf und Abweichung fällt schliesslich das Chaos ein und die Paare beginnen sich zu mischen. Sie eilen vom einen Raum in den anderen, es wird hektisch auf der Bühne. Die Geschehnisse überkreuzen sich, die zwei Räume scheinen plötzlich miteinander verbunden zu sein. In der Schlusssequenz verschiebt sich die Zwischenwand, der rechte Raum gewinnt an Grösse, im linken wird ein Paar von herabfallenden oder besser gesagt über die Wand geworfenen Zweigen bedeckt. Dieses Schlussbild weist schon fast mythische Züge auf.
In der Tat lässt einem Kallimanis Performance viel Freiheit darüber nachzudenken, was die beiden Paare da eigentlich treiben. Man sieht und erlebt, dass Abweichungen in diesem Doppelspiel unterschiedliche Erzählungen auslösen können. Die rhythmisch geprägte Musik von Alexandra Katerinopoulou bringt dabei interessante narrative Momente mit ins Spiel. Die gezeigten Alltagsrituale erinnern einen an persönliche Erfahrungen. Der spielerische Umgang mit Formen von Körpererzählung in einer fast stummen Performance verliert aber mit der Zeit an Reiz. Eine wirkliche Erkenntnis lässt sich aus dem, was Panagiota Kallimani, Rafael Pardillo, Antigone Fryda und Giorgos Symeonidis auf der Bühne anstellen, nicht gewinnen. Und was soll uns der surreale, fast mythische Schluss sagen? Vielen im Publikum ist eine gewisse Ratlosigkeit anzumerken.
Am Ende gibt es freundlichen Beifall für alle Beteiligten.
Ingo Starz (Athen)