Athens Epidaurus Festival / Peiraios 260
Mario Banushi: Taverna Miresia – Mario, Bella, Anastasia
Wiederaufnahme am 24. Juli 2024
Copyright: Teofilos Tsimas
Trauer im Badezimmer
Der junge Theaterregisseur und Schauspieler Mario Banushi hat im vergangenen Jahr die Athener Theaterszene kräftig durchgeschüttelt. Das Erscheinen seiner Stücke „Goodbye Lindita“ am Griechischen Nationaltheater und „Taverna Miresia – Mario, Bella, Anastasia“ am Athens Epidaurus Festival sorgte für Aufsehen, und dies auch bei den Gästen der erstmals durchgeführten Showcase-Veranstaltungen des Nationaltheaters und des Festivals. Kuratoren sowie lokale und internationale Presse priesen das Talent des Newcomers. Die beiden Produktionen wurden sogleich zu etlichen Festivals eingeladen. Das Athener Festival hat nun „Taverna Miresia“ wiederaufgenommen und dabei in eine grössere Halle verlegt, um dem grossen Publikumsinteresse gerecht zu werden. Was ist es nun, dass Zuschauer, Kritiker und Kuratoren gleichermassen an Banushis Arbeit fasziniert?
Das Persönliche seiner Stückerzählungen, die ungewöhnlichen Bildfindungen sind es, die den Charme des Neuen und Frischen ausstrahlen. Mario Banushi arbeitet sich in „Taverna Miresia – Mario, Bella, Anastasia“, wie schon zuvor in Goodbye Lindita“, an seiner eigenen Familiengeschichte ab. Er kam als Kind von Albanien nach Griechenland, wo seine Mutter ihn und sich mit wenig Geld durchbringen musste. Banushi besuchte regelmässig den Vater und andere Familienmitglieder in seinem Heimatland. Sein Stück ist in gewissem Sinne eine Rückkehr, in die Taverne des Vaters nämlich. Es ist eine Auseinandersetzung mit persönlichen Erfahrungen und Erinnerungen, mit dem Tod des Vaters. Es ist dabei eine Eigenart des jungen Regisseurs, zumindest bis dato, dass er ohne gesprochene Dialoge arbeitet. Seine Theaterfindung lebt von Bildern, überraschenden Szenen- und Bildwechseln, von ritualhaften Bewegungen und Musik. Die Intensität körperlichen Ausdrucks trägt sehr zur Wirkung von Banushis Theater bei. Und es ist erstaunlich, wie gut der Stückerfinder und Regisseur bereits die theatralen Mittel zu einem kleinen Gesamtkunstwerk zusammenzuführen weiss.
Eine Neonreklame auf der Bühne weist den Ort des Geschehens aus, die Taverna Miresia. Das albanische Wort „Miresia“ lässt sich mit „Freundlichkeit“ oder „Güte“ übersetzen. Dieser Ort der Güte zeigt nun nicht den Gastraum einer Taverna, wie man erwarten könnte, sondern deren Badezimmer. Diese Setzung – in der gelungenen Ausstattung von Sotiris Melanos – lenkt in gewissem Sinne den Betrachterblick vom Öffentlichen hin zum Privaten. Zu Beginn des Stücks verlässt Mario Banushi, der sich selbst spielt, gerade die Dusche. Er macht sich fertig für die Bestattungszeremonie des Vaters. Vier schwarz gewandete Frauen kommen hinzu, eine Öffnung im Boden markiert das Grab, ein Sakko verweist auf den Verstorbenen. Was daraufhin in dem nur etwa einstündigen Stück folgt, sind ritualhaft angelegte Szenen, die Trauer und Konflikte der Hinterbliebenen zum Ausdruck bringen. Banushi schafft einen Erinnerungsraum, dessen Versatzstücke sich nicht in eine simple Erzähllinie bringen lassen. Da gibt eine Szene, wo eine der Frauen mit einem Lappen auf den Stuhl einschlägt, über den das Sakko des Toten gehängt ist. In einer anderen Szene bespuckt eine der Frauen immer wieder eine andere. Es gibt etliche solcher kleiner Rituale zu entdecken. Und mit dem wiederkehrenden Einsatz von Nacktheit gewinnt diese Theaterarbeit auch ein hohes Mass an Intimität. Es gibt bisweilen auch recht Surreales zu sehen, etwa wenn plötzlich Schilfgras auf der Bühne erscheint und zwei Frauen in ekstatischen Bewegungen hinter dem am Boden sitzenden Mario tanzen. Der Ort der Erinnerungsbilder und Trauerrituale gewinnt am Ende, wenn Rundbogenfenster in den Seitenwänden geöffnet werden, eine geradezu sakrale Atmosphäre.
Bei diesem atmosphärischen Spiel spielt die Musik von Jeph Vanger eine wichtige Rolle, in welcher traditionelle und computererzeugte Klänge eine gelungene Verbindung eingehen. Die von Savina Giannatou vorgetragenen vokalen Gesangslinien schaffen einen Moment grossen Ausdrucks, eine Trauergebärde. Auf der Bühne agieren neben Mario Banushi Savina Giannatou, Katerina Kristo, Eftychia Stefanou und Chryssi Vidalaki. Die Letztgenannte ist eine ehemalige Lehrerin des Regisseurs. Das zeigt schliesslich ein wichtiges Moment von Banushis Arbeiten: Das Einbeziehen von vertrauten Personen, von Laien. Alle Beteiligten tragen zum wundersam-starken Eindruck bei, den diese „Taverna Miresia“ beim Publikum hinterlässt.
Es gibt viel Applaus und Bravorufe am Schluss der Aufführung.
Ingo Starz (Athen)