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ATHEN/ Athens Epidaurus Festival / Peiraios 260: Gisèle Vienne: L’ÉTANG (Der Teich)

21.07.2023 | Theater

Athens Epidaurus Festival / Peiraios 260

Gisèle Vienne: L’Étang 

Besuchte Vorstellung am 20. Juli 2023

Ästhetischer Überdruck

hanania
Copyright: Estelle Hanania

In einer der Hallen an der Peiraios 260 gastiert die in Athen schon bekannte Theaterkünstlerin Gisèle Vienne mit ihrer Produktion „L’Étang“ [Der Teich], welche bereits 2020 Premiere feierte. Die Bühneninstallation setzt sich mit dem Kurzdrama „Der Teich“ von Robert Walser auseinander. Der Schweizer Autor erzählt darin die Geschichte des Knaben Fritz, der sich in seiner Familie nicht geliebt, ja misshandelt fühlt. In einem Moment grösster Verzweiflung täuscht er einen Selbstmord durch Ertrinken vor. Vienne extrahiert starke Momente der Auseinandersetzung aus Walsers Text. Der Abend beginnt sprachlos in einer weissen Box: Lebensgrosse Puppen in unterschiedlichen Anordnungen scheinen die Geschichte vorweg zu nehmen und in einem einzigen Bild zusammenzufassen. Das ist ein interessanter, bildstarker Beginn.

Im weiteren schafft Gisèle Vienne mit zwei Schauspielerinnen, einer langsamen Bewegungschoreografie, intensiver Lichtregie und einem Soundscape, der das gesprochene Wort einschliesst, eine gleichsam hermetisch abgeschlossene Welt – eine Welt des Unheimlichen, aus der es kein Entrinnen zu geben scheint. Das alles verträgt sich ziemlich gut mit Walser, gibt eine strenge Form. Gleichzeitig tun sich aber auch Probleme auf. Die Verständlichkeit der Worte leidet bisweilen unter dem Gesamtsound und die Stille, von der mehrfach die Rede ist, will sich nicht wirklich einstellen. Gisèle Viennes Arbeit, ein Werk zwischen Theater und bildender Kunst, leidet an fast permanentem ästhetischen Überdruck. Ein Zuviel an verwendeten Mitteln führt dazu, dass die Deformation der Familie von Anfang an offenkundig ist und Überraschungen oder Entwicklungen ausbleiben. Was die Künstlerin auf die Bühne bringt, erscheint doch recht maniriert. Und dies behindert die Tiefensicht auf desolate Familienverhältnisse in nicht geringer Weise.

Fraglos verrät die Arbeit von Gisèle Vienne ein hohes Mass an Perfektion. Und sie wird von zwei tollen Schauspielerinnen getragen und mindestens momenthaft zum Leben erweckt. Adèle Haenel übernimmt in diesem puppenhaften Spiel die Kinderrollen, Fritz und seine Geschwister Paul und Klara. Ruth Vega Fernandez erscheint wechselweise als Mutter und Vater. Den beiden gelingen ein paar eindrückliche Begegnungen auf der Bühne. Man hätte sich aber, wie bereits erwähnt, mehr ästhetische Bescheidenheit gewünscht. 

Das Publikum spendet am Schluss freundlichen Beifall. 

Ingo Starz (Athen)

 

 

 

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