Athens Epidaurus Festival, Peiraios 260
Farm Fatale
Besuchte Vorstellung am 11. Juli 2022
Kommunizierende Vogelscheuchen
Farm Fatale@Martin Argyroglo Press kit.
Philippe Quesne ist ein Theaterkünstler, der mit seinen schrägen, dystopisch anmutenden Bühnenwelten drängende Fragen der Gegenwart behandelt. In seinen bildstarken Installationen bewegen sich merkwürdige Figuren, die häufig ohne viele Worte auskommen. Quesne zeigt Welten, welche dem Betrachter durch ihre verzerrte Optik den Spiegel vorhalten. Im merkwürdig-fantastischen Ambiente seiner Arbeiten entblösst sich die Hinfälligkeit einer krisengeschüttelten Welt, unserer Realität. Quesnes „Farm Fatale“ kam 2019 an den Münchner Kammerspielen heraus. Für den internationalen Festivalbetrieb wurden drei der fünf Schauspieler ausgewechselt. Anders als bei frühen Arbeiten des Künstlers wird nun recht viel auf der Bühne gesprochen. Dabei sind die Worte nicht weniger merkwürdig oder irrwitzig als die Gegenstände und Erscheinungen auf der Bühne. Alles zusammen bildet einen Kosmos der einsamen, verlorenen Gestalten.
Philippe Quesne führt dem Betrachter in „Farm Fatale“ eine Welt nach dem Verschwinden der Vögel vor Augen. Die handelnden Figuren sind Vogelscheuchen, die sich neuen Aufgaben zugewandt haben, die Radioshows produzieren und Musik machen. Die elektronisch verstärkten und verzerrt wiedergegebenen Stimmen der Akteure erzeugen dabei auch ein Radiogefühl im Auditorium – oder man könnte auch sagen, in Quesnes Arbeit treffen Kunstinstallation und Hörspiel zusammen. In einem mit Planen ausgelegten, weissen Bühnenraum finden sich Relikte einer vergangenen Zeit, in der Menschen sich die Natur Untertan gemacht hatten. In den Reden der Vogelscheuchen ist viel von Pestiziden und Zerstörung zu hören, vom Niedergang der Agrarwirtschaft. Aber auch von der letzten übriggebliebenen Biene und deren Kontaktschwierigkeiten. Und eine der Vogelscheuchen tritt gar als politischer Aktivist auf. Auch sie ist eine Zurückgelassene. Bei aller Dystopie gibt es aber auch Hoffnung: Die Vogelscheuchen verwahren Eier, denen im wahrsten Sinn des Wortes die Zukunft gehören. Es deutet sich so eine Geburt der Zukunft aus dem Geist der Romantik an. Melancholie, überdrehte Komik und Hoffnung bescherrschen einmal mehr die Bild- und Sprachwelt von Philippe Quesne.
Farm Fatale@Martin Argyroglo Press kit.
Die Schauspieler Léo Gobin, Sébastien Jacobs, Nuno Lucas, Anne Steffens und Gaëtan Vourc’h formen detailreich eine Gruppe ungewöhnlicher Gestalten, welche Englisch, Deutsch und Französisch sprechen. Hinter ihren Masken – geschaffen von Brigitte Frank – entfaltet sich pulsierendes Leben. Die Figuren erscheinen als eine Notgemeinschaft und sind gleichzeitig Einsame, auf sich selbst Zurückgeworfene. Das Geschehen mag bisweilen etwas geschwätzig daherkommen, die poetische Kraft etlicher Szenen hält das Ganze doch zusammen. Philippe Quesne entpuppt sich einmal mehr als bewundernswerter Schöpfer melancholisch-einsamer Welten.
Das Publikum dankt dem Ensemble am Ende mit starkem, anhaltendem Beifall.
Ingo Starz (Athen)