Athens Epidaurus Festival / Peiraios 260: El Conde de Torrefiel: La luz de un lago
Foto: Mario Zamora
Besuchte Vorstellung am 13. Juni 2025
Eine bedeutende Strömung im zeitgenössischen Theater besinnt sich der Wirkungsmacht ihrer Mittel und fokusiert sich darauf, dieses herauszustellen und zu reflektieren. Es geht ihr weniger um den Text oder die Aufführung eines Theaterstücks als um die Erschaffung eines performativen Prozesses. Das Kollektiv Le Conde de Torrefiel, das aus Tanya Beyeler & Pablo Gisbert besteht, gehört in diese Kategorie des Theatermachens. Sie entwickeln Stücke aus dem Material der Bühne heraus, sie fragmentieren gewohnte szenische Vorgänge und kreieren eine Montage, die an die Einbildungskraft der Zuschauer appelliert. Die Sinne der Betrachter gewinnen an schöpferischer Freiheit, wenn das Publikum die sinnlichen Eindrücke der Aufführung imaginativ zu einem Ganzen zusammenführt. Der reflektive, distanzierende Gestus einer solchen Performance macht diese zu einer Art Meta-Theater. Im Zentrum dessen steht aber freilich noch immer das Erzählen.
Was erzählt uns die Performance „La luz de un lago“ und wie tut sie das? In der Aufführung werden vier Geschichten miteinander verknüpft, die in unterschiedlichen Jahren und an verschiedenen Orten spielen. Die nachfolgende Geschichte weist jeweils eine mediale Referenz zur vorbergehenden auf. Zwei entstammen der Vergangenheit, zwei führen in die Zukunft. Das Geschehen beginnt in Manchester, wo sich drei junge Leute bei einem Konzert kennenlernen. Der Brite Thomas und die Italienerin Cecilia kommen sich näher und werden schliesslich ein Paar. Die nächste Station ist Athen, wo es um die Bankangestellten Ioannis und Petros geht. Der erstgennante ist verheiratet, entdeckt aber bei Gelegenheit, dass er sich zu Petros hingezogen fühlt. Die beiden treffen sich wöchentlich für Sex in einem Kino. Sie sehen auf der Leinwand, wie die Beziehung von Thomas und Cecilia in die Brüche geht. Dann geht es nach Paris, wo von der Meeresbiologin und Transfrau Marianne, die als Philippe aufwuchs, die Rede ist. Sie liest in einem Buch die Geschichte der beiden Griechen und davon, dass einer bei Unruhen ums Leben kann. Es wird dabei auf ein konkretes Ereignis der griechischen Finanzkrisenjahre angespielt. Die letzte Station führt nach Venedig, ins Opernhaus La Fenice. Dort wird eine Oper über Marianne, die im Meer umkommt, uraufgeführt. Diese Szene wird gleichsam wie ein Opernfinale orchestriert: Aktivisten besetzen während der Aufführung das Auditorium und bewerfen die Anwesenden mit Kot – in einem Manifesto erklärend, dass Oper obsolet, da auf einen Wow-Effekt beim Publikum aus sei. Und „Wow is shit,“ wird uns mitgeteilt.
Foto: Andrea Macchia
Auf der Bühne agieren drei Personen, die sich weitgehend untheatralisch im Raum bewegen. Sieht man vom Schluss ab, wo sie als Aktivisten verkleidet braune Klumpen auf eine Wand werfen und die eben erwähnte Kot-Szene illustrieren, fungieren diese als Bühnenarbeiter oder, poetisch ausgedrückt, als Theatermacher. Sie platzierten und bewegen die Elemente des Bühnenbilds und bleiben dabei die ganze Aufführung über stumm. Die Aufführung findet in spanischer Sprache statt, das heisst, sie wird mittels eingespielter Stimme erzählt. Man hört den Geschichten zu, liest die Untertitel, schaut aber eben nicht einer Darstellung zu. Es ist eine Form von Theater, die wesentlich im Kopf des Betrachters stattfindet. Durch die sehr überlegte Nutzung von Theatermitteln, wie Musik, Video oder Sprache, werden interessante performative Mechanismen und Prozesse in Gang gesetzt. Das Anstreichen einer Wand mit schwarzer Farbe dient beispielsweise als Widerhall eines erzählten Tods. Die Musik zur ersten Geschichte untermalt die Konzertszene, vermag aber auch die Atmosphäre eines Moments und eines Jahrzehnts zu veranschaulichen. Und die in schlechter Auflösung ablaufenden Videos sowie der angesagte Abspann am Ende der Aufführung erinnern uns daran, dass es hier (auch) um einen Film geht. In beeindruckender und kluger Weise fügen sich die Mittel der Illusionsmaschinerie, sei es Theater oder Film, zu einem 90-minütigen performativen Akt zusammen, der uns, dem Publikum ganz deutlich macht, dass wir immer Mitschöpfer sind.
Da die drei Akteure auf der Bühne nicht eigentlich als „Schauspieler“ im Einsatz sind, erscheinen sie konsequenterweise nicht zum Schlussapplaus. Dieser fällt eher freundlich denn enthusiastisch aus. Für anregende Diskussionen sorgt diese Aufführung aber allemal.
Ingo Starz (Athen)