Athens Epidaurus Festival / Odeion des Herodes Attikus
Staatsorchester Athen: Beethovens Neunte
Besuchtes Konzert am 28. Juni 2024
Durchgeformtes Klangerlebnis
Neeme Järvi. Foto: Simon van Boxtel
Es sind die Dirigenten, die Orchester zu Bestform bringen. Und gute Dirigenten machen an einem Ort wie Athen, wo kein Toporchester zu finden ist, bisweilen grosse Unterschiede im Orchesterspiel deutlich. Das Staatsorchester Athen hat für sein erstes Konzert im Rahmen des Athens Epidaurus Festival einen Altmeister gewonnen, den 87-jährigen Neeme Järvi. Ausgebildet in Tallinn und Leningrad, dem heutigen St. Petersburg, hat er eine internationale Karriere gemacht. Den Orchestern in Gothenburg und Detroit blieb er lange verbunden. Er ist ein Orchestererzieher, einer der mit sehr klaren Vorstellungen an ein musikalisches Werk herangeht. Im Athener Odeion des Herodes Attikus leitete er nun eine vitale Aufführung von Ludwig van Beethovens Neunter Sinfonie.
Neemi Järvi hatte das Orchester stets gut im Griff und arbeitete die rhythmisch-dramatische Struktur von Beethovens Werk gekonnt heraus. Das führte etwa im ersten Satz, wenn im Crescendo der musikalische Rhythmus enger und drängender wird, zu einem überzeugenden, klaren Klangbild. Trompeten und Pauken boten hier wie im weiteren Verlauf sehr gute Leistungen. Der Streicherklang, bisweilen ein Manko des Athener Orchesters, gewann an Ausdruck unter Järvis straffer und präziser Leitung. Das zeigte sich gut bei der Einleitung zum zweiten Satz, in dessen kurzem Thema. Im dritten Satz, wo einmal die Instrumente nacheinander zum Einsatz kommen, gefielen die Bläser besonders. Über den ganzen Verlauf der Sinfonie beeindruckte, wie der Dirigent mit feinem Sinn für Dramatik Crescendi und Generalpausen gestaltete und stets das musikalische Geschehen in Fluss hielt.
Es ist wie stets der letzte Satz, auf den sich die Konzentration des Publikums konzentrierte. Auch hier überzeugte der von Neeme Järvi vorangetriebene dramatische Aufbau. Die vier Gesangssolisten – Camilla Tilling, Aude Extrémo, Barry Banks und Andrew Foster-Williams – boten gute Leistungen, ihre Platzierung hinter dem Orchester war aber eher suboptimal hinsichtlich des Klangs. Es war dabei vor allem der Bass Foster-Williams, der mit Stimmführung und Diktion beeindruckte. Der Chor des griechischen Rundfunks ERT, der Chor der Stadt Athen und der Philharmonische Chor Oltenia erzeugten zusammen ein kraftvolles Klangbild, das nur ein paar Mal an Homogenität zu wünschen übrig liess. Neeme Järvi hielt die musikalischen Fäden sicher zusammen und brachte Beethovens Neunte zum jubelnden Ende.
Das Publikum im fast vollbesetzten Odeion war wohl zuallererst wegen des berühmten Werks erschienen. Der letzte Ton war noch nicht recht verklungen, da wurde schon stürmisch applaudiert. Viel Beifall und Bravorufe für alle Beteiligten.
Ingo Starz (Athen)