Athens Epidaurus Festival / Odeion des Herodes Attikus
Recital Jakub Józef Orliński / Il Pomo d’Oro: Beyond
Besuchtes Konzert am 16. Juli 2024
Früchte und Folgen frühen Ruhms
Foto: Festival
Es ist fraglos keine grosse Überraschung, dass das Athens Epidaurus Festival den polnischen Countertenor Jakub Józef Orliński nach Athen eingeladen hat. Der Sänger sorgte in den letzten Jahren für einige Furore in der Welt der klassischen Musik. Es ist auch verständlich, dass man ein Konzert intensiv bewirbt, zumal in einem Land, dass nicht über ein grosses Publikum für diese Art von Musik verfügt. Die PR-Massnahmen führten zu einem guten, aber keineswegs überwältigenden Publikumszulauf. Nachdenklich stimmte jedoch, wie wenig in den vorab erschienenen Artikeln von der Musik und den spezifischen Qualitäten der Stimme die Rede war. Der Fokus war auf die Person gerichtet, auf Orlińskis Körper und die Tatsache, dass er auch ein talentierter Breakdancer ist. Sicher kann das Erscheinen eines solchen Sängers partiell hilfreich sein, wenn es darum geht, neue Publikumsschichten zu gewinnen. Die Musik kann und sollte dabei aber nicht ihre zentrale Rolle einbüssen. Interessanterweise werden im Programmflyer des Konzerts diesbezüglich Fragen resp. Überlegungen aufgeworfen. Das Athener Konzert kann einen nachdenklich stimmen, weil es zeigt, wie leicht ein Konzert zu einer Art Zirkusvorführung werden kann.
Alte Musik erreicht ein begrenztes, in Athen ein kleines Publikum. Jakub Józef Orliński und die Musiker von Il Pomo d’Oro haben sich gut überlegt, wie man die Zuhörer am besten erreichen kann, gerade in einem so weiten Raum wie dem des Odeions. Was zur Aufführung kam, war die im vor einigen Monaten veröffentlichten Album „Beyond“ festgehaltene Musik des 17. Jahrhunderts. Neben Werken von bekannten Komponisten wie Claudio Monteverdi, Girolamo Frescobaldi oder Francesco Cavalli enthält die Aufnahme auch interessante Wiederentdeckungen. Orliński und die Musiker haben bei der Programmzusammenstellung für das Konzert narrative Aspekte entwickelt und szenische Momente eingebaut. Kaum überraschend ist in den Arien viel von Liebe, Leid und Hoffnung die Rede. Die Arien „Quanto più la donne invecchia“ und „Son vecchia, patienza“ aus Giovanni Cesare Nettis Oper „L’Adamiro“ setzen da einen schönen Kontrapunkt. In den beiden Stücken geht es nämlich um eine alte Frau und deren Sicht auf die Liebe – und Orliński spielt dann auch gleich die Alte. Die spielerischen Momente des Abends machen Sinn und überzeugen, einmal steigt der Sänger gar einen Leuchtstab haltend zu den höher gelegenen Zuschauerreihen hinauf und singt dort eine Arie. Gesang, Musizieren und Spiel machen die Musik auf erfreuliche Weise erfahrbar.
Dank der elektroakustischen Verstärkung verliert das Spiel von Il Pomo d’Oro viel von seinen Farben und seiner spezifischen Räumlichkeit. Man hört natürlich alle Instrumente gut, das Klangbild bleibt aber flach. Ähnliches lässt sich über das Stimmerlebnis sagen. Gleichwohl hört man, dass es sich bei Orlińskis Organ um eine aussergewöhnliche Stimme handelt. Die Arie „Amarilli, mia bella“ von Giulio Caccini etwa, bringt den warmen, leuchtenden Ton des Countertenors zu wunderbarer Entfaltung. Sehr ausdrucksstark kommt auch „Misero core … Dolcissime catene“ aus Giovanni Cesare Nettis Oper „La Filli“ aus dem Lautsprecher. Es gibt in der Tat viel Interessantes an diesem Abend zu hören und entdecken. Jakub Józef Orliński und die Musiker von Il Pomo d’Oro bieten ein hochklassiges Konzert.
Das Problem liegt an diesem Abend auf der Seite des Publikums. Viele respektieren den Wunsch der Künstler nicht, auf Zwischenapplaus zu verzichten. Die musikalische Dramaturgie wird so empfindlich gestört. Einige musikalische Momente werden überklatscht und am Ende wird Orliński gerade von denen am lautesten gefeiert, die zuvor den musikalischen Ablauf am meisten gestört haben. Das ist leider ein etwas absurd anmutendes Geschehen, welches, wie bereits gesagt, das Konzert zum Zirkus werden lässt – insbesondere im Zugabenteil. Festival und Medien sollten mehr Fokus auf die Frage legen, wie sich das Wissen des Publikums über Alte Musik mehren lässt. Und für Konzerte wie dieses liesse sich vielleicht ein akustisch geeigneterer Raum als das Odeion des Herodes Attikus finden.
Ingo Starz (Athen)