Athens Epidaurus Festival / Odeion des Herodes Attikus
Chamber Orchestra of Europe/Sir Simon Rattle
Besuchtes Konzert am 30. Juni 2024
Innige Momente musikalischen Zusammenspiels
Sir Simon Rattle. Foto: Oliver Helbig
Die Ankündigung des Konzerts weckte hohe Erwartungen. Das Chamber Orchestra of Europe machte Station im Athener Odeion des Herodes Attikus. Der Klangkörper erschien auf dem Podium mit dem Stardirigenten Sir Simon Rattle und dessen Frau, der Mezzosopranistin Magdalena Kožená. Dass relativ viele Plätze leer blieben, lag sicher nicht an den Protagonisten und am Programm (sondern eher an der Preispolitik). Zur Aufführung kamen Werke von Antonín Dvořák, Gustav Mahler, Béla Bartók und Franz Schubert. Es war ein klug zusammengestelltes Programm, das aber leider auch die akustischen Tücken des römischen Theaters offenbarte. Klassischer Liedgesang tut sich nämlich schwer in dem weiten, offenen Raum.
Das Scherzo Capriccioso, Op. 66 von Antonín Dvořák, das stark von tschechischer Volksmusik angeregt ist, eröffnete den Abend. Und hier zeigten sich auch gleich die grossen Qualitäten des Orchester und seines Dirigenten. Leicht und unaufgeregt, in musikalischem Dialog entfaltete sich ein transparenter Klang, der vom kammermusikalischen Miteinandersein der einzelnen Instrumentengruppen geprägt war. Farben- und detailreich sowie beredt kam die Musik zur Aufführung. Darauf folgten vor und nach der Pause Lieder, für welche Magdalena Kožená als Solistin auf dem Podium stand. Für die Rückert-Lieder von Gustav Mahler hatte Simon Rattle ein kammermusikalische, geradezu minimalistische Begleitung gewählt. Teilweise wurde der Gesang nur von wenigen einzelnen Instrumenten begleitet. Koženás Stimme brachte dabei schöne Farben ein, zeigte Differenzierung, Gestaltungsvermögen und Pianoqualitäten. Allerdings fehlte es der Stimme doch etwas an kraftvoller Entfaltung, was nicht nur wegen des schwierigen Raums einige Passagen fast unhörbar geraten liess. Ein Lied wie „Um Mitternacht“ verlor so an Dringlichkeit und Ausdruck. Wesentlich besser kamen die „Fünf ungarischen Volkslieder“ (BB 108) von Béla Bartók über die Rampe. Der Gesang der Mezzosopranistin konnte sich deutlich besser im Raum durchsetzen und die Farben der Stimme verliehen den Liedern charaktervollen Ausdruck. Das war tatsächlich eine sehr gelungene Darbietung der kurzen Werke von Bartók.
Als Hauptwerk des Konzert stand Franz Schuberts Sinfonie in C-Dur auf dem Programm. Und diese Darbietung geriet unter der inspirierten Leitung von Rattle zum grossartigen Höhepunkt des Abends. Es macht ja, könnte man sagen, irgendwie Sinn, wenn man einer Sinfonie von Schubert, dem Meister des klassischen Liedgesangs, Lieder voranstellt. Dies ist wohl umso mehr der Fall, wenn die Interpretation des sinfonischen Werks so kammermusikalisch ausfällt wie an diesem Abend. Rattle schuf einen differenziert gestalteten musikalischen Fluss, der die Themen plastisch hervortreten liess. Die Phrasierung der Streicher war vorbildlich, die Intonation der Bläser – beginnend mit den Hörnern am Anfang des ersten Satzes – makellos. Man sah den Musikerinnen und Musikern an, wie innig sie in Dialog zueinander traten. Das war Klangrede auf höchstem Niveau. Der letzte Satz (Allegro vivace) entwickelte den soghaften Drive, den sich Schubert vorgestellt haben mag. Simon Rattle und das Chamber Orchestra of Europe liessen Schuberts Meisterwerk tiefe Empfindung und kammermusikalische Transparenz zuteil werden. Es war eine grossartige, mitreissende Darbietung.
Das Publikum war sehr angetan von allen Teilen des Programms. Nach der Schubertsinfonie gab es dann kein Halten mehr. Rattle und das Orchester wurden mit lautstarkem Beifall und Jubel gefeiert.
Ingo Starz (Athen)