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ATHEN: Athens Epidaurus Festival / Antikes Theater von Epidauros: Nationaltheater von Nordgriechenland zeigt Euripides: DIE TROERINNEN

18.08.2023 | Theater

Athens Epidaurus Festival / Antikes Theater von Epidauros 

Nationaltheater von Nordgriechenland zeigt Euripides: DIE TROERINNEN

Besuchte Vorstellung am 18. August 2023

Kein Anschluss unter dieser Nummer 

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Copyright: Kobes Troades Generals

Das in Thessaloniki beheimatete Nationaltheater von Nordgriechenland präsentiert im antiken Theater von Epidauros Euripides‘ Tragödie „Die Troerinnen“. Das Stück zeigt Troja kurz vor der Zerstörung durch die Griechen. Es richtet seinen Blick auf die Besiegten, genauer auf die trojanischen Frauen, die der Willkür der Sieger ausgeliefert sind. Die Brutalität menschlichen Handelns und der Wankelmut der Götter werden drastisch vorgeführt. Es ist eine Tragödie, die mit ihrer eindringlichen Darstellung weiblicher Kriegsschicksale nichts von ihrer Aktualität verloren hat. Der Regisseur Christos Sougaris legt im Programmheft dar, dass Tradition und konventionelle Darstellungsmittel befragt, erneuert und auch verändert werden dürfen und müssen. Ohne konzeptionelle Ideen zu äussern, bereitet er damit das Publikum auf einen etwas anderen Blick auf das antike Stück vor. Man betritt mit erwartungsvoller Neugier das Theater von Epidauros. 

Die Ausstattung von Eleni Manolopoulou versetzt die Handlung mehr oder weniger in die Gegenwart. Die Kostüme der Frauen zeigen eine gewisse exotische Note als Ausweis ihrer trojanischen Herkunft. Der Bühnenraum kommt mit wenigen Requisiten aus: Koffer, ein Suppenkessel mit Essgeschirr, etwas Gestrüpp und eine Telefonzelle. Letzterer kommt eine besondere Bedeutung in der Inszenierung von Sougaris zu, da sie den Draht der Menschen zu den Götter bildhaft werden lässt. Die Telefonzelle als Ort religiöser Erfahrung – das ist in der Tat etwas Ungewöhnliches, wenngleich sich das Objekt konzeptionell nur bedingt in das Ganze einfügt. Ganz am Schluss, um vorzugreifen, nach dem Abtreten der Troerinnen klingelt das Telefon. Doch es ist niemand mehr da, um göttlichen Ratschlüssen zuzuhören. Es ist kein Anschluss mehr unter dieser Nummer. Haben Götter und Menschen versagt? Alles andere, was die Inszenierung auf die Bühne bringt, mutet leider weniger originell und durchdacht an. 

Die Bewegungsführung der AkteurInnen ist von Ermis Malkotsis mitverantwortet. Diese ist darauf bedacht – in den Chorszenen, aber auch auch bei den Auftritten Hekubas – den Bühnenraum gut auszufüllen. Beim Chor wirken die Bewegungen öfters zu stilisiert und also unnatürlich, bei der trojanischen Königin erzeugen sie ein zuviel an rasender Unruhe. Chor und Hekuba treten auch ins Auditorium ein, in griechischen Raum sozusagen. Und Menelaos tritt von von dort auf oder besser herab. Viel Nähe stellt sich trotzdem nicht ein, was nun auch an der Sprachgestaltung der Aufführung liegt. Den Männern kommt ein recht nüchtern-sachlicher Ton zu, also Poseidon zu Beginn, dem Boten Talthybius und Menelaos. Dieses Sprechen passt ganz gut zur Kriegslage, in der Männer das Sagen haben. Den Frauen wird der verzweifelte, klagende oder rasende Ton zugewiesen. Es ergibt sich so im Klangbild der weiblichen Stimmen ein Mangel an ruhigen und introspektiven Momenten. Egal ob im Falle Hekubas oder der plakativ-stolzen Helena, das Sprechen erzeugt über weite Strecken zu viel veräusserlichte Deklamation. Die Verwendung von Mikrophonen hätte durchaus ganz unterschiedliche Sprechweisen möglich gemacht – abseits von Tradition und Konvention. 

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Copyright: Kobes Troades Generals

Die Inszenierung von Christos Sougaris hat ein paar gute Momente, etwa wenn Antonis Kafetzopoulos als Poseidon zu Beginn auftritt oder in den Szenen mit Dimitris Piatas als Talthybius. Und Roula Pateraki als Hekuba hat starke Momente in der Enge der Telefonzelle, egal ob diese viel zur Deutung beiträgt oder nicht. In weiteren Rollen stehen Akexandros Bourdoumis, Maria Diakopanagiotou, Clio-Danae Othoneou, Mariza Tsari und Loukia Vasileiou auf der Bühne. Hinzu kommt der Chor der Frauen, der einmal, ziemlich zu Beginn, Athena in Vielzahl auf die Bühne bringen darf. Ein szenischer Einfall, der gut aussieht, aber kaum zu einer zeitgenössischen Deutung der Tragödie beiträgt. Warum sollte Athena „humaner“ sein als ihre Götterfamilie? Die Koffer auf der Bühne sind eine starke Metapher für Abschied und Verlust. Der Aufführung gelingt es leider kaum, die geschilderten Verwüstungen in Raum und Seelen nah an unsere Zeit zu rücken. 

Das Publikum im grossen Theater von Epidaurus spendet viel Beifall und vereinzelte Bravorufe. 

Ingo Starz (Athen)

 

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