Athens & Epidauros Festival: West Side Story. Premiere am 16. Juli 2016
Amerika in Attika
Copyright: Athens und Epidauros-Festival
Nicht nur Shakespeares „Romeo und Julia“ ist ein Klassiker auf den Theaterspielplänen, auch Leonard Bernsteins Musical „West Side Story“ erfreut sich anhaltender Beliebtheit. Das 1957 uraufgeführte Werk verlegt die Liebesgeschichte in das New York City der 1950er Jahre und unterlegt das Ganze mit den ethnischen Konflikten zwischen Puerto-Ricanern und Amerikanern. So haben wir es im Musical mit dem Bandenkrieg zweier rivalisierender Gangs zu tun, was gleich zu Beginn gezeigt wird, wenn Jets und Sharks aufeinandertreffen. Aus Romeo wird Tony, aus Julia die aus Puerto Rico stammende Maria. Wenn am Ende der „West Side Story“ Tony in Marias Armen stirbt und die Gangs sehr schnell begreifen, dass sich solche tödlich ausgehenden Konflikte nicht lohnen, gerät die Glaubwürdigkeit der Handlung etwas in Schieflage. Gleichwohl: Bernsteins Musical gehört zu den Besten des Genres.
Der anhaltende Erfolg des Werks liegt natürlich zuallererst in dessen musikalischer Qualität begründet. Der Komponist hat gekonnt Elemente des Jazz, der Oper und Unterhaltungsmusik zusammengeführt und die beiden Gangs, die Jets und die Sharks, durch mitreissende Musik charakterisiert. So wird im „Jet-Song“ der Einfluss des Progressiven Jazz deutlich, während die eingewanderten Puerto-Ricaner in „Amerika“ mit lateinamerikanischer Tanzmusik assoziiert sind. Der Dirigent Georgos Petrou führt die Musiker seiner Armonia Atenea sicher durch die Partitur. Blechbläser und Perkussion erbringen sehr gute Leistungen. Mitunter fallen Akzentuierung, Rhythmus- und Tempowechsel jedoch etwas mau aus, was wohl dem Bestreben nach einem geordneten Zusammenspiel von Graben und Bühne geschuldet ist. Die Armonia Atenea, die in jüngster Zeit auf internationalem Parkett mit grossem Erfolg Barockmusik aufführt, etwa bei den Händelfestspielen in Karlsruhe oder den Salzburger Pfingstfestspielen, erbringt jedenfalls eine erfreuliche, in allen Orchestergruppen sehr gute Leistung.
George Petrou hat die „West Side Story“ zusammen mit dem Choreografen John Todd in der Alexandra Trianti Hall des Megaro Mousikis inszeniert. Das Ergebnis ist mehr zweckdienlich als aufregend und orientiert sich sichtlich am Stil früher Einstudierungen. Im einfachen, aber wirkungsvollen Bühnenbild von Paris Mexis (Kostüme: Georgina Germanou) entfalten sich anfangs allzu konventionell anmutende Tableaus. Die Aufführung nimmt aber erfreulicherweise im Laufe des Abends an Fahrt auf und die Personenführung gewinnt an Stringenz. So kommt z.B. das Finale des 1. Akts sehr gut zur Geltung und die Frauenszenen fallen grundsätzlich schauspielerisch stärker aus. Die Choreografie schöpft gekonnt aus den Möglichkeiten der Mitwirkenden, hätte aber bisweilen mehr Drive vertragen. Gerade zu Beginn, wenn Jets and Sharks erstmals auftreten, wirkt das klassische Bewegungsrepertoire seltsam deplatziert. Der Regie von Petrou und Todd darf man zu Gute halten, dass sie die Abläufe und Übergänge gut organisiert und so das Geschehen immer im Fluss ist.
Das rund 30-köpfige, überwiegend junge Ensemble erbringt eine gute, stellenweise mitreissende Leistung. Aus der Schar der Mitwirkenden seien nur die Hauptakteure hervorgehoben. Marina Satti bringt mit erfrischender Leichtigkeit und Anmut Maria auf die Bühne und weiss mit ihrem lyrischen Sopran zu gefallen. Ioannis Kalyvas braucht als Tony etwas Zeit, um in die Rolle zu finden, überzeugt aber mit seinem differenziert und sicher geführten Tenor. Sehr gute Bühnenpräsenz entwickeln Eleni Stamidou als Anita, Jason Mandylas als Rif und Andreas Voulgaris als Bernardo. Die drei genannten Darsteller bieten auch gute gesangliche Leistungen. In stimmlicher Hinsicht ist unbedingt auf Vassia Zacharopoulou als Rosalia hinzuweisen, die sich im Amerika-Song ihrer Kollegin Eleni Stamidou als überlegen erweist. Im Ganzen darf man konstatieren, dass allen Beteiligten unter den nicht eben einfachen Athener Bedingungen eine bemerkenswerte Umsetzung von Bernsteins Musical gelungen ist. Das Publikum dankte mit begeistertem Applaus.
Ingo Starz