Athens & Epidauros Festival/ Theatre Company Diaspora: Ruined (Besuchte Vorstellung am 11. Juli 2016)
Mama Nadi und ihre Töchter
Copyright: Theatre Company Diaspora
Das Athener Festival bietet neben zahlreichen griechischen Eigenproduktionen in diesem Jahr auch eine internationale, englischsprachige Neuinszenierung an. Dennis Hilton-Reid und Youla Boudali bringen mit der Theatercompagnie Diaspora in der grossen Halle des Hauptspielorts an der Piräus Strasse Lynn Nottages Schauspiel „Ruined“ auf die Bühne. Das Drama, welches nicht zufällig an Bertolt Brechts „Mutter Courage und ihre Kinder“ erinnert, entstand 2007 und wurde zwei Jahre später mit dem Pulitzer Preis ausgezeichnet. Die Erwartungen sind also einigermassen hoch an diesem Abend, der die Halle D in Mama Nadis Bar verwandelt und Publikum und Akteure ganz nah zusammenrückt (Bühnenbild: Aliki Kouvaka).
Das Stück von Lynn Nottage handelt von den jüngsten Kriegswirren in der Demokratischen Republik Kongo. Im Zentrum von „Ruined“ steht die Bordellbesitzerin Mama Nadi, die versucht, sich und ihre Mädchen sicher durch die Zeit zu bringen. Sie ist dabei, wenn man so will, Profiteurin des Krieges, aber auch, wie sich mehr und mehr herausstellt, ebenso Opfer desselben. Ihre Mädchen leiden allesamt unter der Situation, die viel Gewalt gegen Frauen hervorbringt. Die junge Sophie ist die engste Vertraute Mama Nadis, weil sie ein Geheimnis miteinander verbindet: Beide wurden Opfer der Genitalverstümmelung, sind „ruined“. Gegenüber den Frauenfiguren, welche die Autorin ins Zentrum des Geschehens rückt, bleiben die männlichen Protagonisten eher schwach gezeichnet. Am stärksten tritt noch der Handelsreisende Christian in Erscheinung, der am Ende der Bordellbesitzerin seine Zuneigung erklärt. Die Soldateska gewinnt kaum Profil. Das Schauspiel von Lynn Nottage beruht auf Zeitzeugeninterviews, ist aber in seiner klassischen, souverän vorgeführten Struktur weit vom dokumentarischen Theater deutschsprachiger Prägung entfernt. Mehr als einmal wünscht man sich an diesem Abend weniger Einfühlung und mehr Fakten: Das Bild von der Situation im Kongo bleibt im Drama „Ruined“ leider allzu unscharf gezeichnet.
Copyright: Theatre Company Diaspora
Das Regieteam führt ein grosses, um Statisten angereichertes Ensemble. Es können hier mangels Besetzungszettel nur die Namen aufgeführt werden: Youla Boudali, Kemiyondo Coutinho, Michalis Georgiou, Kevis Hillocks, Darius Journigan, Errikos Miliaris, Niara Sena, Caitlin Tyson und Khiry Walker. Sie alle agieren in reichlich konventioneller Weise und gewinnen den Figuren wenig an Facetten ab. Das vergebliche Bemühen der Regie, den grossen Raum spannungsvoll zu nutzen, trägt das Seinige dazu bei, dass sich schon bald gepflegte Langeweile im Publikum einstellt. Die bedrohliche Kriegssituation vermittelt sich auch trotz einfallsreicher Klänge (Musik: The Boy) nicht. Die Aufführung leidet an einer unzureichenden Personenführung und an einer schwachen Ensembleleistung. Angesichts des wichtigen Themas muss man das brave Szenario und die mediokre Umsetzung bedauern. Der Schlussapplaus fällt dementsprechend matt und kurz aus.
Ingo Starz