Athens & Epidauros Festival
Peiraios 260
TITANEN
Besuchte Vorstellung am 8. Juni 2017
Copyright: Athens & Epidauros Festival
Magie hinterm Bügelbrett
Die Titanen sind ein mythisches Geschlecht, das in der Goldenen Ära vor den Olympischen Göttern herrschte. Hyperion, Kronos, Mnemosyne oder Okeanos gehören laut Hesiod diesem Götterkreis an. Der Choreograf und Tänzer Euripides Laskaridis hat nun im Rahmen des Athens & Epidauros Festivals unter dem Titel „Titanen“ ein Stück herausgebracht, das extraterrestrische, metaphysische Gefilde erkundet. Wie bereits in seiner vorigen Arbeit „Relic“, schlüpft er dafür in ein Ganzkörperkostüm, welches in diesem Fall etwas an eine Comicfigur erinnert. Der Kostümbildner Angelos Mentis hat ausgezeichnete Arbeit geleistet. Zur Seite steht Laskaridis als zweiter, ein wenig im Hintergrund stehender Protagonist Dimitris Matsoukas. Der Blick auf das Ewige der Götterwelt wird in ihrer Darbietung durch kleine Dinge des Alltags und durch die Schönheit des vermeintlichen Sternenzaubers in den Raum ‚phantasiert‘. Die überzeugende Raumgestaltung stammt vom Choreografen.
Magische Momente sind ein zentraler Aspekt in Laskaridis‘ Arbeit. Die Kunst der Verwandlung und diejenige der Sinnestäuschung beherrschen die Szene. Der Bühnenraum ist durch simple wie wandlungsfähige Gegenstände und Materialien geprägt. Zu nennen ist etwa ein Bügelbrett, eine Schaukel oder ein grosses Pendel im Hintergrund, aber auch Styroporplatten, Papier und Wasser. Euripides Laskarides und Dimitris Matsoukas machen in diesem Setting mit alltäglichen und stilisierten Gesten eine fantastische Welt lebendig, die viel mit Erinnerungsbildern arbeitet – Mnemosyne lässt grüssen. Da wird eine Goldfolie zum vibrierenden Gebirge, gerät ein Bügelbrett zum magischen Ort oder wird das Pendel zum kosmischen Objekt. Aktionen und Gegenstände verbinden sich zu einem leichtfüssig, humorvollen Sinnenrausch. Es ist eine Freude anzuschauen, wie die beiden Akteure eine ungeahnte, betörende Welt vor unseren Augen entstehen lassen.
Beeindruckend und sehr bemerkenswert ist, wie eng und gekonnt das Spiel auf der Bühne mit dem technischen Environment gekoppelt ist. Das von Eliza Alexandropoulou verantwortete Licht trägt wesentlich zur Magie der Szene bei. Ganz ausserordentlich ist aber, was sich auf der Ebene des Sounds ereignet. Da wird nicht nur Geräusch oder Musik eingespielt, sondern auch und insbesondere die Stimme von Euripides Laskarides live verstärkt, verzerrt und verwandelt. Das eigentümliche Wispern und Schreien der Hauptfigur – es handelt sich, nebenbei bemerkt, um eine Titanin – bestimmt den Klangraum und macht ihn mehr als alles andere zum Ort des Fremden. Der Sounddesigner Giorgos Poulios leistet grossartige Arbeit. Das Tanzstück „Titanen“ ist ein Gesamtkunstwerk, in welchem das Zusammenspiel von Bildern, Stimme, Bewegung und Raum einen faszinierenden Blick auf eine ebenso fantastische wie fremde Welt eröffnet. Das Publikum dankt mit begeistertem Beifall.
Ingo Starz