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ATHEN/ Athens & Epidauros Festival, Odeion des Herodes Attikus Anne Teresa De Keersmaeker/Rosas: Mitten wir im Leben sind

03.07.2019 | Ballett/Performance

Foto: Anne Van Aerschot

Athens & Epidauros Festival, Odeion des Herodes Attikus

Anne Teresa De Keersmaeker/Rosas: Mitten wir im Leben sind

Auffuehrung am 2. Juli 2019

Nur zwei Tage nach einer akustisch problematischen Auffuehrung der Bachschen Cellosuiten durch Yo-Yo Ma im Odeion des Herodes Attikus ist am selben Ort nun ein getanzte Version der beruehmten Stuecke zu erleben. Anne Teresa de Keersmaeker performt mit einer Taenzerin und drei Taenzern die Werke unter dem Titel „Mitten wir im Leben sind“. Diese Worte stammen aus der Feder von Martin Luther und stehen am Anfang eines Chorals. Zitiert wird die Formulierung des Reformators, und darum wurde dieser Titel gesetzt, auch auf dem Grabstein von Pina Bausch, welcher diese Produktion zugeeignet ist. Man moechte gerne annehmen, dass die Schoepferin des Wuppertaler Tanztheaters ihre helle Freude an dieser Choreografie gehabt haette.

Das fuenfkoepfige Ensemble agiert auf der Buehne zusammen mit dem wunderbaren Cellisten Jean-Guihen Queyras. Der Franzose bringt die Suiten voller Farben und mit detailreicher Artikulation zur Auffuehrung. Sein Spiel bringt einen warmen, koerperhaften Klang hervor, der wirklich beeindruckt. Anne Teresa de Keersmaeker bildet in ihrer Choreografie nicht die Struktur der Werke nach, sie uebersetzt vielmehr die taenzerischen Rhythmen in von Leben und Spielfreude ueberbordende Szenen. Sie zitiert dabei immer wieder klassische Tanzbewegungen, entwickelt aber daraus eine ganz eigene, zeitgenoessische Sprache, die ungemein leicht daherkommt und improvisiert wirkt. Sehr charaktervoll zeigen die Tanzenden die Wege, welche das Leben nimmt. Heitere Szenen wechseln ab mit nachdenklichen Momenten, immer, so der Eindruck, sind die Koerper auf der Suche nach etwas. De Keersmaeker scheint von fragiler Schoenheit zu erzaehlen, vom „Mitten wir im Leben sind [mit dem Tod umfangen]“. Der Tanz ist voll Anmut und Drive und er fliesst gleichsam organisch dahin. Bachs Musik kommt im besten Sinn des Wortes zum Leben. Und die Zuschauer kommen ob dem Erfindungsreichtum der Belgierin nicht aus dem Staunen heraus. Die gezirkelten Muster auf dem Buehnenboden sowie die vor den Suiten mit Klebeband aufgetragenen Linien verweisen auf die mathematische Struktur der Kompositionen, welche in der Interpretation des Ensembles zur Lebensfuelle wird.

Anne Teresa De Keersmaeker bringt ein wunderbares, kleines Ensemble auf die Buehne. Zusammen mit Bostjan Antoncic, Marie Goudot, Julien Monty und Michael Pomero bietet sie charaktervolle Darbietungen, Individuationen dessen, was in Johann Sebastian Bachs Musik steckt und was gleichzeitig unsere Existenz ausmacht. Die bemerkenswerte Choreografie ist ein Fest fuer Augen und Ohren, und dies auch dank des bereits erwaehnten, ausgezeichneten Cellisten Jean-Guihen Queyras. Musik und Tanz finden zu einem gemeinsamen Atem, zu einer grossartigen Symbiose, die so praezise gesetzt wie frei artikuliert ist.

Das Publikum ist am Ende begeistert und spendet anhaltenden Beifall und Bravorufe.

Ingo Starz

 

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