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ATHEN/ Athens & Epidauros Festival/ Kleines Theater des antiken Epidauros: ANTIGONE

24.07.2018 | Theater


Copyright: Athens & Epidauros-Festival

Athens & Epidauros Festival/ Kleines Theater des antiken Epidauros

ANTIGONE

Besuchte Vorstellung am 21. Juli 2018

Rechtsfragen

Im Sommer verlassen die Griechen die Städte und gehen ans Meer oder auf die Inseln. Das Kulturleben verlagert sich folgerichtig in Freie.

Die beiden antiken Theater von Epidauros bieten jeden Sommer ein reichhaltiges Programm, welches sich am überlieferten Kanon antiker griechischer Dramen abarbeitet. Bis heute dominieren dabei auch, was man zumindest bisweilen bedauern mag, griechische Regisseure das Geschehen. Interessant und positiv ist, dass das kleinere der beiden Theater, welches zur antiken Stadt Epidauros gehörte, jungen Talenten offensteht. Mehr als im Theater des Asklepios-Heiligtums wird dort experimentiert und um neue Sichtweisen auf die klassischen Texte gerungen. Nun steht Sophokles‘ „Antigone“ auf dem Programm.

Der Regisseur Konstantinos Ntellas versucht in seiner szenischen Anordnung, die Perspektiven von Familie und Gemeinschaft zu verschränken. In Sophokles‘ Tragödie geht es ja zunächst einmal um Rechtsfragen, darum, was höher zu gewichten sei – das göttliche Gesetz oder das von Menschen geschaffene Staatsrecht. Antigone, die ihren toten Bruder Polyneikes gegen die ausdrückliche Anweisung des Herrschers Kreon bestattet, verkörpert berechtigten Widerstand, aber durchaus auch Rebellion, je nach Lesart der Regie. Dass die Läuterung des Herrschers zu spät kommt und dies nicht nur Antigone, sondern auch dessen Sohn und Frau das Leben kostet, begründet den tragischen Konflikt des Stücks. In der Inszenierung von Ntellas werden die Konfliktlinien, welche das Drama durchziehen, leider nur vage greifbar. Das ständige Umhergehen der Protagonisten auf der Bühne, die quasi Auflösung des Chors, dessen Part wechselweise von den Hauptdarstellern gesprochen wird und so zu einer Art innerem Monolog mutiert, die begleitende Blasmusik und die Präsenz von Laiendarstellern, welche die Gemeinschaft ins Bild rücken, ergeben kein schlüssiges Bild von der Situation. Kreon ist fraglos der Mittelpunkt des Geschehens und Thanasis Dovris liefert als Herrscher von Theben das mit Abstand beste Rollenporträt der Aufführung ab.


Copyright: Athens & Epidauros-Festival

Antigone, welcher die Sprache nur anzuhaften scheint, wirkt daneben blass und unbestimmt. Was die junge Heldin antreibt, bleibt im Dunkeln. Die interessanteste Szene des Abends ist diejenige zwischen Kreon und seinem Sohn Haimon. In diesem Moment schlägt die Inszenierung theatrale Funken, wird der diskursive Rechtskonflikt überzeugend von einem emotionalen Familiendrama sekundiert. Ansonsten verlieren sich die Worte, und das meint nicht den akustischen Aspekt, leider häufig im Bühnenrund. Sicher, was man zu sehen bekommt, wirkt geerdet und nach Antworten suchend. Abgesehen von Thanasis Dovris vermag es das Ensemble jedoch nicht, das tragische Ringen der Figuren plausibel und körperlich fassbar zu machen.

Bühnenbild (Andreas Skourtis) und Kostüme (Konstantina Mardiki) der Antigone-Inszenierung betonen die Gegenwärtigkeit des Stoffs, verweisen aber auch auf anhaltende Traditionslinien. Man fühlt sich kaum zufällig an die Struktur einer ländlichen Gemeinschaft erinnert, wie sie in Griechenland noch immer zu finden ist. Die Musik von Alexandros Ktistakis und das Lichtdesign von Pangiotis Lampis setzen stimmungsvolle Akzente. Dem Ensemble kann man immerhin eine gewisse Frische nicht absprechen: Ilias Kounelas, Thanasis Dovris, Efthymis Chalkidis, Konstantinos Ntellas, Fani Panagiotidou, Maria Parasyrin und Despoina Dorina Remediaki. Dazu gesellen sich die Musiker Christodoulos Anagnostopoulos, Stylianos Vlachodimos, Dimitris Mentesidis und Christos Zgouros und einige lokale Bürger. Das diverse, personelle Setting weist interessante Züge auf, bleibt aber zu sehr schönes Rahmenwerk. Die oftmals kreisförmig verlaufenden Bewegungen der Figuren auf der Bühne erscheinen so wie eine Metapher auf die kaum nach aussen, zum Publikum dringenden Fragen des antiken Klassikers.

Das Publikum im voll besetzten Theaterhalbrund spendet ausgiebig und starken Beifall, der mit vereinzelten Bravorufen durchsetzt ist. Das schöne Bild von Bühne und Landschaftsraum, das sich vor dem Zuschauer auftut, trägt sicher zu einer positiven Grundstimmung und einer gewissen Angeregtheit bei. Man hätte sich gleichwohl mehr Einsichten von der Inszenierung gewünscht.

Ingo Starz (Athen)

 

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