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ATHEN/Athens & Epidauros Festival: ANGELICA LIDDELL: GENESIS 6, 6-7

30.05.2019 | Theater


Copyright: Luca del Pia

Athens & Epidauros Festival, Peiraios 260 Angelica Liddell: Genesis 6, 6-7. Besuchte Vorstellung am 30. Mai 2019

Das diesjährige Athens & Epidauros Festival beginnt mit einer internationalen Produktion: Angelica Liddell’s „Genesis 6, 6-7“. Die spanische Performancekünstlerin und Regisseurin, die zum zweiten Mal in Athen gastiert, nimmt sich zwei Paragrafen aus der biblischen Schöpfungsgeschichte vor, in denen es um die Reaktion Gottes auf die Bosheit der Menschen geht. Der zugrundeliegende Text sei kurz in Erinnerung gerufen: „Da reute es den Herrn, auf der Erde den Menschen gemacht zu haben, und es tat seinem Herzen weh. / Der Herr sagte: Ich will den Menschen, den ich erschaffen habe, vom Erdboden vertilgen, mit ihm auch das Vieh, die Kriechtiere und die Vögel des Himmels, denn es reut mich, sie gemacht zu haben.“ Was in der biblischen Handlung folgt, dürfte den meisten bekannt sein: die Sintflut bricht herein, doch die Menschheit überlebt dank Noah. Die Bosheit der Menschen geht weiter.

Die Leitthemen in Angelica Liddells Arbeiten sind persönliche, gesellschaftliche und politische Gewalt. Wenn sie nun die alttestamentarische Schöpfungsgeschichte zum Anlass einer Performance nimmt, dann stehen auch hierbei Erfahrungen von Unterdrückung und Gewalt im Vordergrund. Der Titel des Abends, genauer die eingangs zitierte Bibelstelle, in der Gott die Auslöschung der boshaften Menschen verkündet, liest sich wie ein Menetekel. Liddell zeigt, dies darf man wohl so sehen, was nach der misslungenen Vertilgung des Menschengeschlechts passiert. Sie schafft dabei bildstarke Szenen wesentlich mit Körpern. Und wie an vielen anderen Abenden steht sie auch selber auf der Bühne. „Mein Körper ist mein Protest gegen die Gesellschaft, gegen Ungerechtigkeit, gegen Lynchjustiz, gegen Krieg.

Mein Körper ist Kritik und Auseinandersetzung mit menschlichem Leid.“

Die Regisseurin formt ihren und die Körper ihrer Performer zu Zeichen des Protests. Sie zeigt in verstörenden und rätselhaften Bildern eine selbstzerstörerische Welt. Eine Welt, die sich nach dem Heiligen und Unversehrten sehnt, aber nur Entzweiung, Gewalt und Leid hervorbringt.

In dieser Welt tauchen Adam und Eva als nackte, rotbemalte Gestalten auf, dort sieht man zu Beginn in Grossaufnahme als Video den Akt der männlichen Beschneidung. Jüdische und christliche Bild- und Ideenwelten fliessen zusammen und stossen aufeinander. Zwei als schwanger gekennzeichnete Frauen führen tänzelnd Schusswaffen mit sich, eine achtbeinige Pferdeattrappe hängt in einer Szene drohend von oben herab. Auch der verstümmelte, behinderte Mensch gehört in diesen Kosmos. Liddell’s Welt zeigt keinen Weg zur Erlösung, aber vielleicht einen Hoffnungsschimmer, dann nämlich wenn ein ritterlicher Knabe die Bühne betritt. Auch wenn man häufig nicht ganz schlau aus den komplexen Bildern wird, eine verstörenden Kraft entfalten sie doch stets. Man mag erkennen, dass es keines strafenden Gottes bedarf, um die Menschheit zugrunde zu richten.


Copyright: Luca del Pia

Angelica Liddell, die für Text, Ausstattung und Licht verantwortlich zeichnet, und ihr Team haben eine beeindruckende Performance geschaffen. Von Antonio Navarro stammen die Videos, Sandra Vicente erzeugt einen Sound, der von technoidem Klang bis Händel vieles umfasst. Die Mitspieler von Liddell auf der Bühne erweisen sich allesamt als heftig protestierende Körper: Juan Aparicio, Paula Vera, Aristides Rontini, Sindo Puche, Yury Ananiev, Sarah Cabello Schoenmakers, Paola Cabello Schoenmakers und Borja Lopez. „Genesis 6, 6-7“ ist eine experimentelle Versuchsanordnung, welche die Menschheit dabei beobachtet, wie sie sich (immer wieder) auszulöschen versucht.

Das Publikum bleibt nachdenklich zurück.

Ingo Starz

 

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