„Der Heiratsantrag“ von Anton Tschechow am 13. November im Glasperlenspiel/ASPERG
Turbulenzen und Überraschungen
Das Stück „Der Heiratsantrag“ von Anton Tschechow dauert nur 50 Minuten – besitzt aber explosive Würze und viel Spielwitz. Dies kam bei der rustikalen Inszenierung von Rose Kneissler auch voll zur Geltung. Im Gästezimmer des Gutsherren Stepan Tschubukow (facettenreich: Gerhard Teichmann) erschien als befreundeter Nachbar der über 50jährige Junggeselle Iwan Lomow (virtuos: Thomas Roll). Mit Frack und weißen Handschuhen verriet er Tschubukow, dass er dessen Tochter Natalja (wandlungsfähig: Bettina Rentschler) heiraten wolle. Doch es kam zwischen den beiden zu einem heftigen Streit um ein Stück Land, was die mit viel Ironie angereicherte Inszenierung in einem großen dynamischen Spannungsbogen auch treffsicher betonte: „Sie sind ein Usurpator!“ Tschubukow warf Lomow schließlich hinaus, nachdem ihm dieser „prozesswütiges Verhalten“ vorgeworfen hatte. Doch die völlig aufgelöste Tochter Natalja erfuhr erst dann den wahren Grund von Lomows Besuch und forderte von ihrem Vater unverzüglich, den Junggesellen zurückzuholen. Als dieser wieder erschien, versuchte Natalja einen versöhnlichen Ton anzustimmen und redete über die Jagd, was sofort einen neuen Streit entfachte. Der an Herzproblemen und körperlichen Gebrechen leidende Lomow wurde schließlich sogar ohnmächtig, was zu einem geradezu dramatischen Höhepunkt dieser rasanten Inszenierung führte. Nach dessen Erwachen gab Tschubukow dem Paar allerdings sofort seinen Segen: „Das ist es, das beginnende familiäre Glück! Bringt Champagner!“ Sie küssten sich und stritten schon wieder über ein neues, verzwicktes Thema.
Den drei gut aufeinander abgestimmten Schauspielern gelang es, das verwirrende Beziehungsgeflecht zwischen den Figuren offenzulegen und auch die manchmal etwas schwermütige russische Mentalität plastisch herauszuarbeiten. So kam es zu immer neuen Turbulenzen und Überraschungen, die dem Geschehen ein zuweilen atemloses Tempo verliehen, das für Tschechow nicht unbedingt typisch ist. Die leise Melancholie des „Kirschgartens“ wurde hier irgendwie auf den Kopf gestellt, was aber die unmittelbare Wirkungskraft nicht minderte. Tschechow selbst schätzte seinen Einakter übrigens eher gering ein: „Ich habe speziell für die Provinz ein dämliches Vaudevillechen namens ‚Der Heiratsantrag‘ geschrieben und es nach Zensurien geschickt“. Doch das Stück hatte Erfolg, was diese Inszenierung unterstrich. Denn die dramaturgischen Qualitäten kamen gut zum Vorschein. Dies zeigte sich insbesondere an den satirischen Spitzen, die übertrieben herausgestellt wurden – etwa bei der Frage, wer den besseren Hund besitzt.
Alexander Walther