Große Gefühle
Arnold Bax (1883 – 1953) komponierte seine sieben Sinfonien zwischen 1921 und 1939 – eine sehr fruchtbare Periode in seinem Leben. Sein kraftvolles sinfonisches Werk kontrastiert intensive lyrische Ausdruckskraft mit manchmal geradezu stürmischer Lebhaftigkeit, große Gefühle im symphonischen Gewand. Die Aufnahmen mit dem Royal Scottish National Orchestra kombinieren die Sinfonien mit einigen Orchesterwerken, die Natur und atmosphärische Landschaftsbilder heraufbeschwören, und insgesamt einen guten Überblick über Bax‘ Musik bieten. Natürlich ist auch sein bekanntestes Werk vertreten, die sinfonische Dichtung „Tintagel“.
Erstmalig sind die von der Kritik äußerst positiv aufgenommen einzelnen Naxos Aufnahmen zu einer Box zusammengefasst. Das Royal Scottish National Orchestra (RSNO) ist einer der wichtigsten Klangkörper Europas. Alle sieben Sinfonien von Arnold Bax mit dem Royal Scottish National Orchestra werden geleitet von David Lloyd-Jones.
Es ist eine schöne Würdigung und ein besonderes Vermächtnis dieses besonderen englischen Dirigenten. Er starb im vergangenen Jahr im Alter von 87 Jahren. Er begann mit einer klassischen Theaterlaufbahn: Repetitor, Kapellmeister und dann Chefdirigent. Besonders intensiv war seine Zusammenarbeit mit der Opera North.
Wie sein Kollege und Freund Charles Mackerras, so war Lloyd-Jones auch ein ruheloser Musikwissenschaftler, immer auf der Suche nach neuen Herausforderungen. Eine besondere Affinität hegte er zu russischen Musik, Tschaikowsky war sein russischer Lieblingskomponist. Mit den Dirigenten Gennady Roshdestvensky und Vladimir Azhkenazy war er gut befreundet.
Vor allem machte sich Lloyd-Jones um die englische Konzertmusik verdient. Weit über einhundert CD-Einspielungen belegen seine besondere Gestaltungsgabe. Intensiv beschäftigte er sich mit der Musik des englischen Spät-Romantikers Arnold Bax.
Bax sah sich durch und durch als Komponist für Landschafts- und Naturmusik. Kaum ein Komponist war derart besessen, die Schönheiten des Heimatlandes fortwährend zu beschreiben, wie Arnold Bax. Seine sieben Sinfonien haben einen unverwechselbaren Stil und bieten faszinierende Klangerlebnisse, manchmal an Rachmaninov erinnernd und später durchaus auch erkennbar von Sibelius oder dem Impressionismus beeinflusst. Auch Mythen, Sagen, Schlösser und Burgen faszinierten Bax zutiefst. All dies ist konkret in seinen Werken in Töne gesetzt.
Diese erste CD in der Naxos Bax-Reihe bietet zwei frühe Tondichtungen, die auf irische Themen basieren und die erste Sinfonie. Lloyd-Jones und das RSNO zeigen eine hohe Identifikation mit dieser so besonderen Musik. Feinste Farbnuancen in warmer Tongebung machen sofort Lust auf mehr. Dabei ist die erste Sinfonie voller deutlicher Kontraste: herbe Wut wird in warmer Liebesgrundierung aufgelöst. Ein Erlebnis.
Scharf herausgearbeitet sind die Kontraste in der zweiten Sinfonie. Prachtvolle Steigerungen und feine Transparenz im Wechselspiel lassen die Musik spannend und kurzweilig erscheinen. Die geheimnisvolle Tondichtung „November woods“ ist meisterlich in ihrer atmosphärischen Dichte. Lloyd-Jones und das hingebungsvolle RSNO musizieren auf höchstem Niveau.
Die dritte Sinfonie berührt besonders durch die Naturmusik des zweiten Satzes. Hier wird die Tonmalerei zur ganz konkreten Bildsprache. Deutlich kontrastiert das beschließende Rondo, im ambivalenten Charakter, einmal heiter und dann wieder deutlich geschärft. Eine schwelgerische Musik in sehr großer Orchesterbesetzung. Lloyd-Jones leitet sein Orchester virtuos mit großer Überzeugungskraft. Das Orchester agiert einmal mehr fabelhaft, die Streicher artikulieren bestechend und die so wichtigen Holzbläser zeichnen wichtige Charakterfarben.
Ein intensives Stimmungsbild zeichnet „The Happy Forest“. Auch hier sind es ungemein dichte Naturstimmungen, die den Zuhörer umgarnen. Einflüsse der Impressionisten sind unverkennbar, Debussy lässt grüßen!
Ein musikalisches Denkmal für die Schönheit der schottischen Küste komponierte Bax mit seiner vierten Sinfonie. Ebbe und Flut im Wechselspiel treffen in großer Dynamik aufeinander. Angereichert wird diese CD mit den Werken „Nympholept“ und der Ouvertüre zu einer pikaresken Komödie. Bei der Ouvertüre könnte sogar „Till Eulenspiegel“ von Richard Strauss Pate gewesen sein. Abwechslungsreich und hinreichend theatralisch kommen sie der intensiven Opernerfahrung von Lloyd-Jones entgegen. Einmal mehr fasziniert die Spielqualität des RSNO. Dieses Orchester spielt Bax wie andere Klangkörper Beethoven. Eine tiefe Vertrautheit ist allgegenwärtig und verleiht den Aufnahmen einen besonderen Rang.
1932 war es soweit: eine musikalische Widmung für Jean Sibelius. Und tatsächlich verwendete Bax in dieser Sinfonie stilistische Eigenarten des großen Finnen, wie die fortlaufenden Ostinato-Bewegungen. Aber die Tonsprache von Bax bleibt auf dem spätromantischen Weg in klanglicher Opulenz. Auch hier sind maritime Klänge bestimmend in der Tonsprache. Ergänzt wird diese Aufnahme mit der Tondichtung „The Tale the Pine-Trees Knew“.
Lloyd-Jones fächert die Musik detailreich auf und macht es leicht, den Strukturen der Komposition gut zu folgen.
Bax liebte seine sechste Sinfonie ganz besonders. Inspirierend sind seine musikalischen Gedanken in den Lyrismen des Lento Satzes. Eingerahmt wird diese Sinfonie von einem kraftvoll zupackenden Beginn und einer gewaltigen Schlusswirkung im letzten Satz.
Ein frühes Werk „Into the Twilight“ und das Sir Thomas Beecham gewidmete entzückende Werk „Summermusic“ ergänzen die CD. Ihm kommt eine Sonderstellung zu, da hier Bax mit einem vergleichsweise kleinen Orchester auskommt.
Mit Hingabe werden auch diese Werke dargeboten. Dirigent und Orchester musizieren in herausragender Form. Wunderbar.
Auch in der finalen siebten Sinfonie aus dem Jahr 1939 malt Bax unvermittelt in üppigsten Klangfarben. Überwältigend gerät die Einspielung seiner bekanntesten Tondichtung „Tintangel“. Brandendes Meer und Burgflair geben diesem Werk eine bestechende Wirkung. Es ist ein Paradebeispiel, in welchem ein Orchester aus dem Vollen schöpfen kann. Eine wunderbare Eröffnungsmusik für einen Konzertabend!
Einmal mehr begeistern die Musiker des RSNO mit ihrer Spielfreude und Hingabe. Holz- und Blechbläser spielen offensiv und charaktervoll. Die Streichergruppe gefällt mit großer Klangkultur. Und das viel geforderte Schlagzeug darf sich nach Herzenslust austoben.
Was diese Gesamteinspielung auch so wichtig und großartig macht, ist die überragende Klangqualität. Die Tonmeister schufen einen weiträumigen und hoch dynamischen Klang, wie es für diese große Musik zwingend erforderlich ist.
Ein Meilenstein in der Diskographie symphonischer Spätromantik und unbedingt hörenswert!
Dirk Schauß, 12. Januar 2023
Arnold Bax: Complete Symphonies, Orchestral Works
Royal Scottish National Orchestra
David Lloyd-Jones
Naxos Catalogue No: 8.507014