Interview mit Aris Argiris, Wotan der „Walküre“ in Chemnitz, am 30. Juni 2019
Nachdem mir der griechische Bariton Aris Argiris als sehr beeindruckender Wotan in der „Walküre“ im Chemnitzer „Ring“ von Richard Wagner im April dieses Jahres aufgefallen war, haben wir uns entschieden, ein Interview zusammen zu machen. Wir trafen uns später im luxemburgischen Ettelbrück.
Aris Argiris. Foto: Mechthild Tillmann
- Sein Werdegang
Aris Argiris stammt aus Athen, studierte er in seiner Heimatstadt Marketing und Sprachen, Saxophon und Musiktheorie sowie Gesang bei Kostas Paskalis, Frangiskos Voutsinos und Despina Calafati. Nach Engagements am Musiktheater im Revier in Gelsenkirchen, am Theater Dortmund, an der Oper Bonn war er bis der Spielzeit 2010/2011 Ensemblemitglied an der Oper Frankfurt. Seither gastierte er u.a. in der Arena di Verona, in St. Petersburg, an der Opéra de Montreal, am Royal Opera House Covent Garden, am Gärtnerplatztheater München, beim Athens Festival in Herodes Atticus, beim Gluck International Festival, am Musiktheater im Revier, an der Semperoper Dresden, an der Vlaamse Opera, an Les Theaters de la Villes de Luxembourg, am Theatre de la Monnaie, am Theater Freiburg, am Theater an der Wien, Volksoper Wien, am Theater Chemnitz, an der Scottish Opera, am Theater St. Gallen, am Theater Bern, beim Israel Philharmonic Orchestra unter Zubin Mehta, an der Staatsoper Hamburg, am Teatro San Carlo di Napoli, am Essener Aalto Musiktheater, am Theater Bonn, an der San Diego Opera, am NNT Tokyo, an der Staatsoper, Deutschen und Komischen Oper Berlin, beim Savonlinna Opera Festival und am Teatro Colón in Buenos Aires. Er steht schon 22 Jahre auf der Bühne.
Im Jahre 1999 erhielt Argiris das Maria-Callas-Stipendium in Athen und setzte sein Gesangsstudium in der Meisterklasse von Prof. Daphne Evangelatos an der Hochschule für Musik und Theater in München fort. 2007 wurde er von der griechischen Vereinigung der Musik- und Theaterkritiker als bester junger Künstler Griechenlands ausgezeichnet.
Zu seinen wichtigsten bisher gesungenen Partien gehören neben dem Don Giovanni u. a. Wotan in „Die Walküre“, Scarpia, Rigoletto, Amonasro, Renato, Jochanaan, Figaro, Escamillo, G. Germont, Marcello, Rodrigo di Posa, Conte d’Almaviva, Lord Enrico Asthon, Frank/Fritz („Die tote Stadt“), Valentin, Francesco („I Masnadieri“), The Four Villains („Les Contes d’Hoffmann“). (Homepage)
- Seine Lehrer und Auffassung vom Gesang
Argiris studierte neben Daphne Evangelatos auch bei Josef Metternich, übrigens gemeinsam mit Michael Volle, dem großartigen Bayreuther Sachs und nun auch Wotan in New York sowie an der Berliner Staatsoper. Metternich ist er besonders dankbar, dass er ihm einimpfte, dass egal, welches Repertoire man singt, alles auf der italienischen Technik basiert. So habe Metternich alles mit der italienischen Technik gesungen und „nie gebrüllt“. Nach Argiris basiert die italienische Technik auf einem fließenden Legato und einer gesund gesungenen Artikulation der Konsonanten, um einen Fluss der Phrasierung herauszubilden. Die Konsonanten sind also nicht der Feind des Legato, sondern vielmehr das bindende Element zwischen den Vokalen, um so ein gesundes Legato zu erzeugen.
- Wie kam er ins schwere Fach?
Von Anfang an hatte Argiris eine hohe Motivation, ins schwere und vor allem deutsche Fach zu kommen. Und das gerade auch als Grieche. Er meint, dass seine Stimme gut im schweren deutschen Fach sitzt, was ich nach seinem Chemnitzer Wotan gern bestätigen kann. Im „Wunder der Heliane“ von E. W. Korngold wurde bemerkt, dass seine Stimme eher für dieses Fach geeignet ist. Es entwickelte sich dann gewissermaßen eine Liebe zu diesem Repertoire, es war ihm verständlicher und kam mit Leichtigkeit zu ihm. So zündete also der Funke in diese Richtung, und seine Agentur unterstützte ihn bei dem Prozess. Vorher hatte Argiris „unzählige“ Mozart, Verdi- und Puccini-Partien gesungen. Das hat ihm enorm geholfen. Er ist der Meinung, dass alle Sänger zunächst im italienischen Fach singen sollten, um die dortige Legato-Kultur ins deutsche Fach, wenn sie denn dahin kommen (wollen), mitzubringen. Denn auch dort muss pianissimo gesungen werden, wo pianissimo steht. Durch das Gesangliche entsteht dann die Schönheit der künstlerischen Leistung – davon ist er beseelt! Und er singt derzeit auch so weiter – eine Kombination aus Partien des italienischen und deutschen Fachs.
Das erinnert mich an meine Gespräche mit Hans Hopf, dem Düsseldorfer und Duisburger Siegfried Ende der 1960er Jahre in der Künstler-Kantine nach den „Ring“-Aufführungen. Er sagte damals, dass man neben Wagner immer wieder mal einen Cavaradossi, Rodolfo oder Calaf singen sollte, wenn man bei Wagner gut bleiben will – also eine schon ältere Erkenntnis. Leider ist davon heute wenig bis nichts mehr übrig geblieben, da die klassischen Wagner-Sänger in die entsprechende Schublade eingeräumt werden und gar kein italienisches Fach mehr angeboten bekommen. Das liegt natürlich auch an der inflationären Entwicklung der Wagner-Opern, insbesondere des „Ring des Nibelungen“, der ja auch schon an mittleren Häusern wie der berühmte Pilz aus dem Boden schießt. Ich frage mich ohnehin oft, wer das alles (gut) singen soll…
- Seine Arbeit als Gesangslehrer
Neben seiner Operntätigkeit nimmt die Arbeit als Gesangslehrer einen großen Teil des professionellen Lebens von Aris Argiris ein. Er unterrichtet alle Stimmlagen, denn er möchte sich auf keine einzelne festlegen.
Was brachte ihn zum Beruf des Gesanglehrers? „Ich hatte es satt, dass auf der Bühne sehr oft nur gebrüllt wird. Ich wollte zeigen, dass diese Mode geändert werden kann und muss.“ Sein großes Vorbild dabei war der berühmte Thomas Stewart, zusammen mit Theo Adam mein erster und höchst bewunderter Wotan und Holländer in Bayreuth. Argiris fühlt sich zu der exzellenten Vokalität von Stewart hingezogen, der auch ein nahezu „zerbrechliches pianissimo“ zu singen im Stande war. Bei ihm konnte man hören, wie die Konsonanten das Legato bilden können. Die Vibration trägt das Legato mit den Vokalen zusammen.
Die Professur in Gesang, die Aris Argiris hält, kann er gut mit seinen Sängerauftritten verbinden. Sie gibt ihm auch die Sicherheit, dass er nicht alles singen MUSS. Die Professur nimmt 18 Stunden pro Woche in Anspruch mit neun Schülerinnen und Schülern an der Universität der Künste in Berlin. Der weit über Österreich hinaus bekannte Bassist Albert Pesendorfer unterrichtet ebenfalls dort.
Nachdem ja Kostas Paskalis Argiris‘ erster Lehrer war, ist für ihn seine Frau seine erste Schülerin gewesen… Sie ist dramatische Mezzosopranistin und dirigiert einen Chor sowie ein Vokal-Ensemble.
Foto: Kirsten Nijhof
- Sein professionelles Credo und der Wotan
Im Grunde will Aris Argiris an die Wurzel des Singens zurück, die gesunde Technik des Singens wiederbeleben. Vor diesem Hintergrund war Chemnitz sein Rollendebut als „Walküre“-Wotan. Dabei hätte er beinahe in Bordeaux debutiert, wo er wegen einer Terminkollision mit der Volksoper Wien das Angebot nicht wahrnehmen konnte. Ich erlebte dort dann Evgeny Nikitin, den ich in Bordeaux auch interviewte. Argiris hat viel nachgeforscht und keinen weiteren griechischen Wotan in der Geschichte dieser Rolle finden können. So ist er vielleicht der erste griechische Wotan überhaupt… Nachdem die Griechen mit zu den ersten gehörten, die kulturell bedeutende Götter stellten, wurde es damit auch höchste Zeit!
Foto: Kirsten Nijhof
- Weitere Pläne
Aris Argiris wird Rigoletto im Januar 2020 am Gärtnerplatz-Theater singen. Im Oktober 2019 kommt der Amonasro in „Aida“ vor der Kulisse des Hatschepsut-Tempels in Luxor (Ägypten), sowie im Juli 2020 am Gärtnerplatz-Theater. Ebenfalls 2020 wird er seinen ersten Barak in der „Frau ohne Schatten“ und 2021 seinen ersten Telramund sowie 2023 den ersten Simon Boccanegra interpretieren.
Bayreuth würde ihn natürlich sehr interessieren. Das ist sein großer Traum und sein Ziel.
Wir wünschen Aris Argiris für sein offenbar sehr bedacht angegangenes weiteres Schaffen viel Erfolg.
Klaus Billand