Wollen wir uns wirklich nur über Kultur unterhalten?
Natürlich besteht das Leben aus Tausenden Parallel-Welten, wie toll Cavaradossi das „Vittoria“ singt, hat nichts mit dem Regenwald zu tun, ob Verstappen das nächste Formel 1-Rennen gewinnt, nichts mit der Klimakrise… Ja, hoffentlich bekomme ich Karten für Kaufmann als Othello und Kalaf! Und die Kriege gibt es nebenbei???
Wenn sich Kulturschaffende zur Tagespolitik äußern, ist das legitim, sie sind ja nicht nur Dirigenten, sondern denkende Menschen. Und wenn Daniel Barenboim, der jüdische und palästinensische Musiker in ein Orchester zusammenschweißte, die Frage von beiden Seiten sehen will… hat er Recht?
Oder: Darf er das angesichts der Gräuel, die geschehen sind`
Ich habe auf Umwegen noch eine „Kultur-Geschichte“, die mir einst Miguel Herz-Kestranek im Interview erzählt hat. Er erinnerte sich an die Dreharbeiten zu dem „Wagner“-Film mit Richard Burton, wo er den Hans von Bülow spielte und Vanessa Redgrave seine ursprüngliche Gattin Cosima Und sie sei, sagte er mir, allen Beteiligten unendlich auf die Nerven gegangen, weil sie in den Drehpausen ununterbrochen für die Sache der Palästinenser warb und alle zu Spenden und Unterschriften vergattern wollte.
Nun, wir wissen nicht, wie Frau Redgrave, die sicher eine kluge Frau ist, nach den letzten Ereignissen zu der Sache steht. Sie ist nur ein Beispiel für unzählige Unterstützer der Palästinenser, was mit einer Anti-Israel-Haltung gleich zu setzen ist. Ob man sie ins Meer treiben soll… da differenzieren hoffentlich die Meinungen.
Nun, mein Philosemitismus ist (ich bin die Schnitzler-Biographin) so ausgeprägt, dass er möglicherweise auch zur Ungerechtigkeit pro Israel neigt (obwohl ich Dinge grundsätzlich nie einseitig betrachte). Und ich kenne die Problematik in Israel ein bisschen (und habe selbst erlebt, dass ein wunderbarer, blitzgescheiter Mann wie Ephraim Kishon vor Hass schäumte, wenn die Rede auf die Palästinenser kam) – und ich möchte etwas dazu sagen. Für die Zukunft.
Selbstverständlich ist es das falsche Zeichen, wenn die Hamas mit ihrem unaussprechlichen, unverzeihlichen Terror erreicht, was sie will. Aber ich denke an Israel, das pragmatisch handeln sollte statt emotional. Ich denke, sie sollten sich selbst endlich sagen, dass sie diese Situation nicht in alle Ewigkeit perpetuieren und ihren Kindern für Generationen das Leben vergällen (oder sie brutaler Ermordung aussetzen) wollen.
Sagt doch endlich, liebe, liebe Israeli – danke nein, mit Euch wollen wir nicht mehr zusammen leben, geht in Euren eigenen Staat, kocht Eure eigene Suppe und lasst uns ein für alle Male in Ruhe. Wo auf beiden Seiten so viel Haß ist, kann es kein Zusammenleben geben.
Nun bin ich nicht naiv, ich weiß genau, welches unsägliche Gezänk nun über Gebiete ausbrechen wird, und ich weiß nicht, wie man das Westjordanland mit Gaza zusammen bringen soll – übrigens wiederholen so viele blindlings den Spruch vom „größten Freilichtgefängnis der Welt“: Die Berichte, die der ORF gezeigt hat, waren ja wohl nicht übertrieben geschönt und zeigten ganz normale Menschen, die ganz normal leben wollen und es mit Einschränkungen (an denen Hamas ebenso „schuld“ ist wie Israel) auch tun. Und was persönliche Freiheit anlangt – fragt die Iraner, fragt die Afghanen. Aber – das sollten sie sich künftig untereinander ausmachen.
Es nützt nichts, wenn ein amerikanischer Präsident die Führer hier und dort zusammen holt und für ein Foto zum Handschlag zwingt. Man muss, unter Vorsitz der UNO, an einem Tisch sitzen und die „Teilung Palästinas“, auf die man nach dem Zweiten Weltkrieg irgendwie vergessen hat, endlich vollziehen. Sollen sie auf beiden Seiten schreien, klagen, protestieren – hätten Kohl und Genscher die deutsche Wiedervereinigung damals nicht eisern durchgezogen, würde wahrscheinlich noch heute darüber verhandelt.
Beide Seiten müssen Kompromisse machen, viele Menschen werden unter erzwungener Umsiedelung leiden, aber es ist besser, als die Kehle durchgeschnitten zu bekommen oder geköpft zu werden. Selbstmordattentäter können jederzeit jede Gewalttat verüben, die ihnen in den Sinn kommt.
Bitte, Israel, gebt den Palästinensern ihren Staat. Nicht in erster Linie um ihretwillen, sondern um Euretwillen. Damit Eure Kinder die Chance auf ein normales Leben haben.
Renate Wagner