Nur nicht aus Ärger weinen…
Auch wenn man gewohnt ist, im allgemeinen ziemlich unverblümt seine Meinung zu sagen (ist der Ruf einmal ruiniert, lebt es sich ganz ungeniert), gibt es Fälle von Selbstzensur, wo man sich zurückhält. Weil man sich nicht wohl dabei fühlt, große Künstler, die man selbst als solche anerkennt und bewundert, unverblümt zu kritisieren. Andererseits, wenn es die Sache will…
Immerhin war es eine Erleichterung, sich nicht ganz allein mit seiner Meinung fühlen. „Nun sagt mal, hat Euch das Konzert wirklich gefallen? Ich kanns nicht glauben“, fragt Lohengrin im „Merker“-Forum und spricht mir aus der Seele. Die Rede ist natürlich vom Silvesterkonzert aus Dresden, das am 31. am Spätnachmittag im ZDF meine erste Wahl war (so dass ich zu den Berlinern auf arte erst verspätet einsteigen konnte – auch nicht die wahre Rücksichtnahme der Programmierer überall). Erstens halte ich viel von guter Filmmusik, und zweitens erschien mir die Idee, einmal mit „100 Jahre UFA“ ein paar Schätze zu heben, einfallsreich. Und dazu „unsere“ Elisabeth Kulman, dazu Angela Denoke und Daniel Behle, ganz zu schweigen von Christian Thielemann am Pult „seiner“ Staatskapelle Dresden… da gab es nur Erwartungen und keine Befürchtungen.
Das machte die Sache ja noch schlimmer. Als Elisabeth Kulman auftrat – herrlich, der freche Lockenkopf, die opulente weiße Federboa-Robe, die reine Diven-Verarschung, wirklich schön. Doch hat sie die Zarah-Leander-Schlager gesungen? Sie hat sie gesäuselt und gehaucht, und das mit einer exzessiven Affektation, die dann nichts mehr mit Ironie zu tun hatte, sondern mit einem destruktiven „Stil“, der das Original unterwandern sollte. Mit dem Effekt, dass von den Qualitäten dieser Musik nichts mehr übrig blieb,
Ist schon klar, dass man die Leander nicht imitieren muss (obwohl das manche können und mit großen Effekt getan haben, wie auch die Piaf-Interpretinnen oder Sona MacDonald als Lotte Lenya, besser als das Original). Aber Schlager, die auf die offensive, sinnliche Art der Leander hin geschrieben wurden, dann einfach zu ruinieren, indem man sie absichtsvoll miß-interpretiert – was soll das? Muss alles Neue auch das Richtige sein, nur damit man das Alte vermeidet?
Angela Denoke – muss man erwähnen, wie sehr man sie vor allem als Gestalterin schätzt? – war da nicht besser. Ich denke, sie wollte halt überlegen und leicht zynisch aus der Wäsche gucken, tatsächlich wirkte sie so verkrampft wie erstarrt. Daniel Behle hatte sich noch am wenigsten in ein Konzept gezwängt, aber auch er – und natürlich Thielemann – waren keine Freude. Gott, was gab es da an Musik, an sich vergnüglich, schmissig, witzig, schwungvoll. An sich. Nicht hier. Na ja, nur nicht aus Ärger weinen, es gibt im Leben nicht nur den einen Versuch…
Persönlich muss man glatt zu seinen DVDs der alten Filme zurück, um zu wissen, wie das klingen kann – wobei, bitte wohlgemerkt, ich die Dietrich für keine Meistersängerin halte und man „Ich bin von Kopf bis Fuß“ besser singen kann als sie. Das wäre doch eine Möglichkeit gewesen. Hat nicht stattgefunden.
Nun haben Christian Thielemann und Elisabeth Kulman bei uns Merker-intern und natürlich auch bei den Lesern eine große Lobby, und weil Kritik nicht sein darf, wird man mich der Vorurteile zeihen, abgesehen davon, dass ich von all dem ohnedies nichts verstehe… sonst müsste man ja nachdenken, ob der Abend wirklich so gut war, wie manche glauben machen. (Und ob Muti, der steif wie Stock vor den Philharmonikern stand, wirklich so großartig war, wie viele ihn erlebten…)
Ich möchte dazu noch betonen, wie sehr ich Frau Kulman auch für ihr Leben und ihre Entscheidungen bewundere. Man kann ja durch ihre Newsletter (es ist sehr vernünftig, den Finger am Puls der Zeit zu haben) nicht nur verfolgen, was sie tut, sondern auch, was sie denkt. Sie hat sich aus dem Opernzirkus ausgeklinkt und läuft mehr und mehr auf der Schiene der „Entertainer“ (was große Kollegen überall, Michael Heltau zum Beispiel, ja auch erfolgreich tun, um von niemandem abhängig zu sein als von sich selbst). Wenn ihre Entscheidungen – etwa Zarah Leander alternativ zu säuseln – nicht jeden überzeugen, ist das wohl ein kalkuliertes Risiko, und ihre Fans werden sie dabei ohnedies unerschütterlich begleiten.
Dass Elisabeth Kulman bald aufhören will, ist auch bemerkenswert: „Man wird mich nicht mit nassen Fetzen von der Bühne runterprügeln müssen“, sagt sie. Und sie kann sich vornehmen, mit ihren nun knapp 45 Lebensjahren nur noch ein paar Jahre aktiv als Sängerin weiterzumachen. Und dann wird ihr mit ihren vielen Interessen und sozialen Ambitionen sicher nicht langweilig werden.
Kurz, es gibt ein Leben außerhalb des Karrierezirkus. Das sollten wir, die den Stars so gespannt bei ihren Anstrengungen zusehen, von Rolle zu Rolle und von Bühne zu Bühne zu rasen, auch bedenken…
Renate Wagner