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ANTWERPEN/ GENT: OPERA 21 FESTIVAL

05.05.2017 | Oper

ANTWERPEN/ GENT: OPERA 21 FESTIVAL

 vom 18.- 30.April 2017

 Eine hervorragende Idee – auf dem Papier – hatten mehrere flämische Musikheatergruppen. Um sich und ihren Produktionen – von ausschließlich zeitgenössischen Werken – mehr Aufmerksamkeit zu verschaffen, gründeten sie gemeinsam das OPERA 21 FESTIVAL, das 12 Tage lang in Antwerpen und Gent an verschiedenen Spielorten stattfand.

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Menuet. Die „Lolita-hafte“ Haushaltshilfe. Copyright: Opera21 Festival

So präsentierte die Gruppe LOD z.B.die neueste Schöpfung des jungen belgischen Komponisten Daan Janssens: Menuet. Die Premiere wurde mit Spannung erwartet, handelte es sich dabei doch um eine Vertonung eines Romans des populären flämischen Autors Louis Paul Boon („Wer Flandern kennenlernen will, muss Boon lesen“). Der ausländische Gast muss allerdings sagen, dass ihn diese Dreiecksgeschichtw zwischen Ehemann, Ehefrau und lolitahafter Haushaltshilfe ziemlich kalt liess – und das nicht nur, weil die Handlung in einem Eiskeller spielt. Erschwerend hinzu kam, dass aus unerfindlichen Gründen deutsch gesungen wurde. Denn dadurch verstand man leider so unsäglich aufgeblasene Sätze wie „Ich spüre, wie sich das heiße Sperma in meinen Nieren sammelt.“ nur zu gut. DIe Inszenierung von Fabrice Murgia war sehr ästhetisch und elegant, die Komposition von Janssens hingegen schien von einem Computerprogramm unter Verwendung gängiger Floskeln zeitgenössischer Musik erstellt worden zu sein. Kein großer Wurf.

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Relevations: Prophezeiungen unter Plasikfolie.Copyright: Opera21 Festival

Enttäuschend auch der Beitrag des Musiktheaters Transparant: Revelations (Offenbarungen) von Wim Henderickx, basierend auf den ekstatischen Texten der „einheimischen“ Mystikerin Hadewijch van Antwerpen. Das klang in der Vorankündigung zwar vielversprechend, in der Praxis sah man allerdings mehrere buntgewandete Frauen, die sich auf einem kreuzförmigen Laufsteg gebärdeten wie durchgeknallte Waldorfschülerinnen. Dazu erklangen esoterisierende Töne, wie man sie sonst nur als einlullenden Hintergrund-Sound (Walfischgesänge, Klangschalen etc.) bei Shiatsu-Massagen kennt. Ein ungenießbarer Mix.

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Faure-Requiem: Sex auf dem Hauptplatz. Copyright: Opera21 Festival

Derselbe Wim Henderickx hatte auch Faurés Requiem für ein Kammerensemble bearbeitet (und das gar nicht schlecht), und der Antwerper Balletchef Sidi Larbi Cherkaoui hat diese neue Version jetzt choreographiert. Nun ist ja allein schon die Werkwahl unverständlich, gilt doch das Faurésche Requiem völlig zu Recht als Inbegriff des Kitsches schlechthin. Cherkaoui verlegt hier die „Handlung“ auf eine Art orientalischen Marktplatz und überfüllt diesen grauenhaft gestalteten Ort dann auch noch hoffnungslos mit unzähligen Darstellern, die in den alleralleruntschiedlichsten Tanzstilen auftreten. Kitsch hoch drei. Ungefähr so bekömmlich wie ein Fiakergulasch mit einer zusätzlichen Portion Schlagobers, Nutella, Chili und Senfgurken…

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Tagebuch eines Verschollenen. Copyright: Opera21 Festival

So blieb es einem Klassiker wie Leoš Janáčeks „Tagebuch eines Verschollenen“ vorbehalten, für den stärksten und nachhaltigsten Eindruck dieses eigentlich dem aktuellen Musiktheaterschaffen gewidmeten Festivals zu sorgen. Ins Programm genommen wurde diese Produktion deshalb, weil Annelies Van Parys das Werk mit vier Eigenkompositionen „erweitert“ hatte, und dies durchaus intelligent und sensibel. Inszeniert wurde das „Tagebuch 2.0“ von Belgiens berühmtesten Regieexport Ivo van Hove. Van Hove unterwirft wie immer die Vorlage gnadenlos seinem Auf-Teufel-komm-raus modern erscheinen wollenden, den Alltag widerspiegelnden Fernsehrealismus und macht aus Janik z.B. einen erfolgreichen Photographen. Aber da er das wie immer handwerklich perfekt macht, geht sich dieser Handlungstransfer letztlich aus. Und am Ende sind wir bewegt, betroffen und erschüttert. DIeses „Tagebuch“ wird im Gedächtnis bleiben und wäre auch anderen Festivals ans Herz zu legen.

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Frontal und grau: Infinite Now. Copyright: Opera21 Festival

Die größte Enttäuschung von OPERA 21 hielt paradoxerweise jene Welturaufführung bereit, die eigentlich das Flagschiff des Festivals und die Weltsensation schlechthin hätte darstellen sollen: das von der Vlaamse Opera bestellte Auftragswerk Infinite Now der israelischen Komponistin Chaya Czernowin, basierend auf Luc Percevals „Front“genannter Dramatisierung von Erich Maria Remarques Antikriegsklassiker „Im Westen nichts Neues“. Der Abend vereinte alle negativen Klischees, die der durchschnittliche Zuschauer mit „zeitgenössischem Musiktheater“ verbindet, in fast schon karikaturaler Weise in sich: ein wieder einmal total überfrachtetes und überintellektuelles Libretto (denn außer Remarque musste Czernowin ja noch unbedingt auch Exzerpte einer  chinesischen Fabel sowie Soldatenbriefe aus dem Ersten Weltkrieg einfügen, und das in sechs verschiedenen Sprachen), eine allein schon auf der physischen Ebene unerträgliche „Musik“ (die hauptsächlich aus von im Pariser Elektronikmekka IRCAM voraufgezeichneten ohrenbetäubenden Geräuschorgien bestand), das Ganze „garniert“ mit einer wiederum alle negativen Vorurteile über „Regietheater“ bestätigenden Inszenierung von Luc Perceval (sprich: frontales, choristisches Rezitieren von keinerlei Personen darstellenden Schauspielern und Sängern in einem grauen Einheitsbühnenbild).

Das Publikum verstand die geballte Aggression als solche, nahm sie dementsprechend persönlich, und begann schon nach einer halben Stunde mit einer bis zum Ende in Wellen fortgesetzten Fluchtbewegung.

Mit diesem Prestigeprojekt dürfte der scheidende Antwerpner Opernintendant Aviel Cahn, der ab 2019 Genf übernehmen wird) diesmal wohl ein wenig zu hoch gepokert haben…

Fazit zum OPERA 21: eine an sich gute Idee, in der Praxis jedoch wirklich noch s e h r optimierbar.

Ein dichtere Programmierung (mit mehreren Vorstellungen am Tag) könnte nicht schaden, ebensowenig wie ein Katalog. Zusammenfassungen zumindest in Englisch wären nicht schlecht und gelegentlich Übertitel in Sprachen außer Flämisch. Besonders gut wären aber – bessere neue Musiktheaterwerke.

 Robert Quitta, Antwerpen/Gent

 

 

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