Anton Bruckner Sinfonie Nr. 9 d-moll Bamberger Symphoniker. Jakub Hrůša, Leitung. Neue Klänge aus alten Noten: Die neunte Sinfonie von Anton Bruckner
Anton Bruckners Werke strahlen eine unvergleichliche Anziehungskraft aus, die den Hörer der finalen Sinfonie in eine Welt der Zukunftsmusik entführen. Anlässlich seines 200. Geburtstags präsentieren die Bamberger Symphoniker unter der Leitung ihres Musikdirektors Jakub Hrůša eine Neuinterpretation von Bruckners mystischer neunter Sinfonie. Bruckners musikalische Gedanken, geprägt von Aufrichtigkeit und Emotionalität, scheinen die Zeit selbst zu überwinden. Dieses Meisterwerk der Spätromantik bleibt jedoch unvollendet. Gerade diese Unvollkommenheit offenbart einen Grad der Vollendung, der kaum zu übertreffen ist. Es fasziniert durch seine aufrichtige Emotionalität und seine transzendenten Gedanken. Die Interpretation durch die Bamberger Symphoniker unter der Leitung von Jakub Hrůša offenbart die Komplexität des Werks in vielen Facetten.
Hrůša und sein Orchester präsentieren eine Auslegung der Partitur, die sich wohltuend von anderen Aufnahmen abhebt. Mit einer persönlichen, schlüssigen Deutung führen sie den Hörer durch Bruckners sinfonischen Kosmos. Hrůšas Dirigat zeichnet sich durch Sensibilität und Tiefe aus, wodurch eine Atmosphäre von erhabener Mystik entsteht. Unterschiedlich als manch anderer Dirigent wählt er einen zurückhaltenderen Ansatz, der Raum für innere Reflexion und Sehnsucht nach dem Höheren lässt. Dabei gelingt es ihm, Verunsicherung und Entzückung in einem beeindruckenden Spannungsbogen zu vereinen.
Der erste Satz, geprägt von bedeutungsvollen Tremoli und tiefen Klängen der Wagnertuben, entführt in eine Welt voller Mystik und Erhabenheit. Diese Wagnertuben, benannt nach Richard Wagner, waren ein Favorit von Bruckner, da sie einen Klang erzeugen, der zwischen Horn und Tuba liegt und somit eine besondere Klangfarbe bietet, die perfekt zur mystischen Atmosphäre seiner Sinfonien passt. Jakub Hrůša führt das Orchester mit klarer Hand, wodurch eine Atmosphäre von innerer Reflexion und Suche entsteht. Die Bamberger Symphoniker reagieren mit feinem Gespür auf Hrůšas Dirigat, und gemeinsam erschaffen sie eine Klanglandschaft von majestätischer Schönheit. Im zweiten Teil des ersten Satzes geht Hrůša einen anderen Weg als viele seiner Kollegen. Statt zupackender Kontraste und nervöser Akzente wählt er einen kontrollierten Ansatz, der Raum für inneren Dialog und Ruhepunkte lässt. Die Musik bewegt sich wellenartig zu großen Steigerungen bis hin zur finsteren Coda. Die Bamberger Symphoniker tragen das spannungsvoll vor. In diesen Momenten zeigt sich Bruckners Meisterschaft im Umgang mit orchestraler Textur und Dynamik, die es ermöglicht, sowohl subtilste Nuancen als auch gewaltige Klangausbrüche darzustellen.
Das Scherzo und Trio erklingen in klarer Rhythmik, ohne dabei je diabolisch zu wirken. Ein wenig mehr Biss in den Akzenten der Pauke würde das Hauptthema zu stärkerer Wirkung geleiten. Hrůša steuert das Orchester mit umsichtiger Schichtung und Formung, wodurch gerade im Trio eine Atmosphäre von innerer Ruhe entsteht. Sehr deutlich wird in diesem Satz auf Transparenz geachtet, gerade im Wechselspiel der Streicher und Holzbläser. Die Bamberger Symphoniker spielen das Scherzo virtuos und zupackend. Bruckners Scherzi sind oft komplexe Gebilde, die sowohl tänzerische Leichtigkeit als auch bedrohliche Intensität vereinen, und diese Balance gelingt Hrůša und seinem Orchester hervorragend.
Das Adagio, der Höhepunkt der Sinfonie, entfaltet sich in reinem Gesang, getragen von tiefer Erschöpfung und Resignation. Hrůša lässt den Schmerz der Musik eindringlich werden, wobei die Bamberger Symphoniker mit ergreifender Hingabe spielen. Die Musik vereint alle geschleppten Bürden der Vergangenheit und bedeutet den Abschied vom Leben, wie der Komponist selbst sagte. Der dissonante Höhepunkt ist bei Hrůša ein intensiver Schmerzmoment, der danach in eine friedvolle Auflösung gelangt. Ausatmen ….
Die Bamberger Symphoniker, ein Orchester mit einer langen Tradition in der Interpretation von Bruckners Werken, zeigen einmal mehr ihre Meisterschaft. Die warmen Streicher, die charaktervollen Holzbläser, die majestätischen Blechbläser und die sonoren Pauken verleihen der Musik eine ganz eigene Gestalt, geprägt von Musikalität und tief empfundener Hingabe. Besonders erwähnenswert sind die Horn- und Holzbläsersoli, die in ihrer Klarheit herausragen. Jakub Hrůša präsentiert sich als eigensinniger Dirigent, der mit einem ausgewogenen Klangbild und seiner klaren Vorstellung überzeugt. Seine moderaten Tempi halten den musikalischen Fluss aufrecht und ermöglichen es den Bamberger Symphonikern, ihr volles Potenzial zu entfalten.
Durch die sensiblen Nuancen und die tief empfundene Musikalität gelingt es den Bamberger Symphonikern, Bruckners musikalische Gedanken in Pracht zum Ausdruck zu bringen. Die besondere Akustik der Bamberger Konzerthalle unterstützt diese Detailarbeit und schafft eine weiträumige Klangumgebung. Eine gelungene Aufnahme, die sowohl Bruckner-Liebhaber als auch Neueinsteiger gleichermaßen begeistern dürfte.
Diese Neuinterpretation von Bruckners Neunter zeigt einmal mehr, wie zeitlos und universell die Musik des Komponisten ist. Hrůša und die Bamberger Symphoniker haben es geschafft, die Essenz von Bruckners Werk einzufangen und gleichzeitig neue Aspekte zu beleuchten. Die Kombination aus technischer Brillanz und tiefgehender emotionaler Interpretation macht diese Aufnahme zu einem besonderen Erlebnis, das die Einzigartigkeit und den Reichtum von Bruckners musikalischem Erbe eindrucksvoll unterstreicht.
Dirk Schauß, im Mai 2024
Anton Bruckner
Sinfonie Nr. 9 d-moll
Bamberger Symphoniker
Jakub Hrůša, Leitung
ACC30605