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ANNABERG-BUCHHOLZ im Erzgebirge: DER OBERSTEIGER von Carl Zeller. Operetten-Ausgrabung

12.12.2016 | Operette/Musical

Operetten-Ausgrabung in Annaberg im Erzgebirge:

„Der Obersteiger“ von Carl Zeller (Vorstellung: 11. 12. 2016)

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Das Bühnenbild aus Holz im Eduard-von-Winterstein-Theater erinnert an das großartige Kunsthandwerk im Erzgebirge (Copyright: Dirk Rückschloß)

Im Eduard-von-Winterstein-Theater in Annaberg-Buchholz im Erzgebirge fand wieder eine bemerkenswerte Ausgrabung statt: „Der Obersteiger“ von Carl Zeller. Diese „bergmännische“ Operette hatte 1894 ihre Uraufführung am Theater an der Wien, wo es 119mal gespielt wurde. Noch im selben Jahr kam das Stück in Berlin, München, Frankfurt a.M., Leipzig, Dresden, Prag, Graz, Brünn und in Hamburg heraus, ehe es fast in Vergessenheit geriet. Es handelt sich also um eine echte musikalische Wiederentdeckung. Da dieses Werk ein Stück Bergwerksleben repräsentiert, lag es nahe, es in Annaberg wiederzubeleben und dazu auch Mitglieder des Bergmusikkorps „Frisch Glück“ Annaberg-Buchholz Frohnau e.V. mitspielen zu lassen.

Der österreichische Komponist Carl Zeller (1842 – 1898), der neben Musik auch Jura studierte und ab 1873 im Unterrichtsministerium tätig war, schuf 1886 mit dem Vogelhändler eines der späten Meisterwerke der klassischen Wiener Operette. Von seinen fünf weiteren Operetten hatte Der Obersteiger anfangs großen Erfolg, dennoch geriet dieses Werk bald in Vergessenheit. Wenig bekannt ist, dass Carl Zeller 1876 mit Jesonde auch eine Oper schrieb, die zu Cromwells Zeiten in Schottland spielt.

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Der Chor war in der bergmännischen Operette „Der Obersteiger“ stets präsent. Copyright: Dirk Rückschloss

 Die Handlung der dreiaktigen Operette Der Obersteiger, deren Libretto von Moritz West und Ludwig Held stammt und die in einem Bergstädtchen spielt, in Kurzfassung: Bergdirektor Zwack muss das heruntergewirtschaftete Bergwerk inspizieren und findet merkwürdige Verhältnisse vor. Niemand arbeitet, ein Volontär wirft mit Geld nur so um sich und alle hören auf den Obersteiger Martin, der mit allen Mädchen flirtet, für drei trinkt und bestimmt, ob die Knappen streiken oder arbeiten sollen. Zwack erinnert sich, vor zwanzig Jahren ein Mädchen namens Fahnenschwinger näher kennengelernt zu haben und erfährt vom Wirt, dass sie damals ein Mädchen bekommen habe und danach weggezogen sei. – Im Lauf der Handlung erfährt man, dass der Volontär der Fürst ist, der inkognito nach seinem Bergwerk sehen will, und auch noch ein Comtesse im Ort Unterschlupf sucht, um nicht den Mann heiraten zu müssen, den ihr der Vater ausgesucht hat. – Elfriede, die Frau des Bergdirektors, arrangiert einen Ball, auf dem Zwack eine Rede halten soll. Bei der Einstudierung wird er von Martin und seinen Untergebenen Tschida und Dusel gestört, deren Motto ist: „Der Bureaukrat thut seine Pflicht von neun bis eins, mehr thut er nicht.“ Auf dem Ball kommt es zu mehreren Verwechslungen und Liebeständeleien; Zwack, dem die Entlassung droht, lernt seine vermeintliche Tochter kennen. Schließlich kommt es zu einem operettenhaften Happyend: die Ehepaare finden wieder zueinander – und der Fürst setzt Zwack neuerlich als Bergdirektor ein. Alles ist gut geworden: Glück auf!

Man könnte das Werk auch als „Chor-Operette“ bezeichnen, ist doch der Chor fast ständig auf der Bühne – und das in starker Besetzung, sodass der Chor des Theaters von Mitgliedern der Freien Chorvereinigung Coruso e.V. und einem Extrachor verstärkt werden musste.

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Bergdirektor Zwack (Leander de Marel) tanzt mit seiner vermeintlichen Tochter (Bettina Grothkopf). Copyright: Dirk Rückschloss

Ingolf Huhn, dem rührigen Intendanten von Annaberg, gelang eine flotte und unterhaltsame Inszenierung mit viel Humor. Hörenswert der stimmkräftige Chor (Einstudierung: Uwe Hanke), sehenswert die Tanzszenen (Choreographie: Sigrun Kressmann). Prächtig auch das Bühnenbild und die Kostüme (Ausstattung: Tilo Staudte). Beim Einheitsbühnenbild aus Holz, das durch die Drehbühne mehrere Ansichten bot, wurde man an das Kunsthandwerk im Erzgebirge erinnert, das zur Vorweihnachtszeit in allen Straßen und Gassen sowie Fenstern präsent ist. Eine gelungene Idee!

Der Tenor Frank Unger, der Sänger der Titelrolle, ließ sich vor der Vorstellung als stark verkühlt ansagen, war aber dennoch bereit, den „Obersteiger“ zu singen, um die Aufführung zu retten. Als glänzender Darsteller schaffte er es bis auf wenige Augenblicke, als seine Stimme fast wegblieb, die Rolle des Filou überzeugend zu spielen. Das Publikum dankte es ihm mit Sonderapplaus.

Sehr humorvoll agierte der Bariton Leander de Marel als Bergdirektor Zwack. Rührend die Begegnung mit seiner vermeintlichen Tochter Julie Fahnenschwinger, die als Comtesse Fichtenau – wunderbar gespielt von der attraktiven Sopranistin Bettina Grothkopf – die Herzen der Männer zu erobern schien. Elfriede, die Gattin des Bergdirektors, wurde von der Sopranistin Bettina Corthy-Hildebrandt stimmlich wie schauspielerisch mit viel Komik exzellent dargestellt.

Kabarettreif waren die Szenen mit dem Bariton Michael Junge als Salinenadjunkt Tschida und dem Bass Matthias Stephan Hildebrandt als Materialverwalter Dusel, der auch den Wirt in der ersten Szene gab. Ebenso überzeugend die junge Sopranistin Madelaine Vogt in der Rolle der Spitzenklöpplerin Nelly. Als Stubenmädchen Babette wirbelte Juliane Roscher-Zücker über die Bühne.

Die Erzgebirgische Philharmonie Aue brachte die pfiffige und flotte Partitur des Komponisten unter der Leitung des jungen Dirigenten Dieter Klug voll zum Erklingen. Unterstützt wurde das Orchester vom Bergmusikkorps „Frisch Glück“, das am Schluss auf der Bühne noch eine von den Zuschauern mit rhythmischem Beifall beklatschte Zugabe spielte.

Das von der „bergmännischen“ Operette begeisterte Publikum, das nach jeder Szene die Sängerinnen und Sänger mit Beifall überschüttete, belohnte schließlich alle Mitwirkenden für ihre Leistungen mit nicht enden wollendem Applaus. Annaberg-Buchholz war noch jedes Mal die lange Reise wert – und noch besonders in der Vorweihnachtszeit.

Udo Pacolt

 

 

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