ANNABERG-BUCHHOLZ: DIE SIEBEN GEISLEIN von Engelbert Humperdinck
am 22. Dezember (Werner Häußner)
Ingolf Huhn und sein Eduard-von-Winterstein-Theater im sächsischen Annaberg-Buchholz sind eine unverzichtbare Bereicherung der deutschen Opernlandschaft. Hier, mitten im Erzgebirge, wird zwar kein Silber mehr gefördert, aber dank des rührigen Einfallsreichtums des Prinzipals kommen andere Schätze zutage: Mit seinen Opernausgrabungen hat Huhn den Ruf des Theaters weit verbreitet. Ob Lortzing oder Wagner-Régeny, Carl Amand Mangold oder Carl Zeller: Wer Rares schätzt, wird das kleine Opernmuseum gerne besuchen. Sicher, nicht alles, was ins Licht der Bühne gefördert wird, gehört zum goldenen Schatz der Opernüberlieferung. Aber darauf kommt es nicht an: Auch Silber ist nicht zu verachten, und ob ein Stück in der Gegenwart trägt oder nicht, entscheidet sich nicht selten erst am Tag der Wiederaufführung.
Zu Weihnachten traf es Engelbert Humperdinck. Dessen „Hänsel und Gretel“ wird in der Saison, in der es gar nicht spielt – im Stück herrscht nämlich Beerenzeit im Sommer –, von rund 30 deutschen Theatern zur Erbauung der Großeltern und Enkelkinder eingesetzt, ein sicherer Kassenfüller. Dass es daneben viele andere Märchen- und sogar Weihnachtsopern gibt – wen interessiert’s? In Annaberg nun bricht Huhn die lebkuchengepanzerte Monokultur auf und wendet sich einem anderen Märchen zu: „Die sieben Geislein“ hat Humperdinck 1894/95 als Singspiel für den Familienkreis vertont, aber nie – wie das beliebte Pendant – zu einer „großen Oper“ weiterverarbeitet.
Gemeinsam mit Tamara Korber inszeniert Huhn das knapp einstündige Märchen als allerliebstes Spiel mit Puppen – was im familiären Rahmen des kleinen Theatersaals prächtig funktioniert. Ein Rahmen wie im Kasperltheater, ein paar gemalte Kulissen (Peter Gross), und wunderhübsche Handpuppen von Francesca Ciola – fertig ist die meckernde Siebenzahl. Die Mutter und ihr Widersacher sind „echt“: Bettina Corthy-Hildebrandt, ganz fürsorgliche alte Geiß mit wunderlichen Hörnern auf dem Hut, spricht die Mahnungen aus, die dann doch nichts fruchten. Denn der böse Wolf, in grauem Pelz, mit wuscheligen Ohren und langem Schwanz, weiß genau, wie er die Alte austrickst und die Zicklein täuscht. Kreide und Mehl sind die Mittel – aber das wissen alle Märchenleser, und die Kinder in Annaberg auch. Die lauschen andächtig und gruseln sich, obwohl Leander de Marel sich bemüht, als nervenschonend kindgerechter Wolf seine Aggressionen pädagogisch korrekt auszuleben. Als eines der Kleinen in der ersten Reihe losheult, muss selbst er prusten.
Sieben Damen aus dem Chor führen die Ziegenpüppchen, lassen sie – allein zu Haus – neckische Böckchenspiele machen und singen die hübschen Lieder, die sich Humperdinck hat einfallen lassen. Da wird auch „Hänsel und Gretel“ zweitverwertet, aber das „Zicklein meck, klug und keck“ ist neu und spritzig. Karl Friedrich Winter begleitet am Klavier. Es mutet ein wenig ironisch an, wenn sich der Wolf nach erfolgreicher Ziegenverschlingung zu den Klängen des „Abendsegens“ niederlegt. Aber wenn man „Abends wenn ich schlafen geh‘“ als musikalischen Erlösungsmotiv aus „Hänsel und Gretel“ begreift, sagt einem die Musik: Es wird alles gut gehen. Und wirklich werden die Opfer des gefräßigen Meisters Isegrim in einer Notoperation, die jedem Chirurgen den Angstschweiß auf die Stirne triebe, gerettet.
Im Sinfoniekonzert war die voll orchestrierte Fassung der Musik zu hören; im Theater blieb es bei einer kurzweiligen Stunde mit Klavier, die jedem Kindertheater zur Nachahmung empfohlen werden kann. Das Plädoyer der kleinen Juroren in Annaberg war eindeutig: aufgeregte Begeisterung und viele Fragen danach.
Für Wiener vielleicht eine besonders attraktive Wiederentdeckung: Carl Zellers „Der Obersteiger“ hat am 13. März 2016 in Annaberg-Buchholz Premiere und passt als „bergmännische Operette“ bestens in die ehemalige Bergbaustadt.
Werner Häußner