ANITA RACHVELISHVILI – Arien Debüt-CD bei SONY
Phänomenale Stimmkultur – 99 Punkte
Veröffentlichung 2. März 2018
Einige wenige Hauptrollen der georgischen Mezzosopranistin Rachvelishvili (Aida, Zarenbraut, Fürst Igor und Orpheus&Eurydike) sind in live Mitschnitten auf DVD/BluRay festgehalten. Jetzt legt Sony das erste Soloalbum dieser großartigen Sängerin vor, die mit einer wahrlich märchenhaften Carmen an der Mailänder Scala für Schlagzeilen sorgte. Eigentlich wollte Rachvelishvili für die Mercedes vorsingen. Daniel Barenboim erkannte jedoch ihr Potential und so kam es 2009 zu der legendären Eröffnungs-Neuinszenierung mit der erst 25-jährigen an der Seite von Jonas Kaufmann samt internationaler TV-Übertragung. Anita Rachvelishvili debütierte als Carmen anschließend an der Canadian Opera Company Toronto, der Staatsoper Unter den Linden und 2010 in der Arena di Verona. Mittlerweile hat sie die Rolle über 300 Mal verkörpert.
Auch auf ihrer ersten Arien-CD bilden die „Seguidilla“ und die „Habanera“ aus Bizets „Carmen“ das künstlerische Epizentrum. Mit ihrem nach wie vor lyrisch frischen, in allen Regenbogenfarben edel schimmernden Mezzosopran ist sie eine ideale Interpretin der Rolle. Leicht rauchig verhangen und mit hohem Sinnlichkeitsfaktor – Anna Moffo nicht unähnlich – spielt Rachvelishvili alle Nuancen der Seguidilla im Piano und Mezza voce gekonnt aus. Phrasierung und Artikulation sind vorbildlich. Keine hochdramatische femme fatale erwartet den Hörer, sondern eine sensitive, in Anklängen eher sanft melancholische Titelinterpretin. Präzise Verzierungen, vorbildliches Legato, dynamisches Feintuning erlauben schon jetzt das Urteil einer rein vokal für das französische Repertoire wohl prädestinierten Stilistikerin. Das belegen die Kostproben aus „Samson et Dalia“ von Camille Saint-Saëns („Printemps qui commence“ und Mon coeur s’ouvre á ta voix“). „Werther“ von Jules Massenet („Werther…Je vous écris de ma petite chambre“) sowie vor allem Charles Gounods „Sapho“ („Où suis-je?…Ô ma lyre immortelle“) auf das vorzüglichste. Von Atmosphäre, impressionistischer Dichte und den poetischen Couleurs her ist wohl das russische Fach dem französischen am ähnlichsten. So werden sowohl das a cappella Lied der Ljubasha aus Rimsky-Korsakovs „Die Zarenbraut“ und die Arie der Königin Tamar aus Dimtir Arakishvilis „Legende der Shota Rustaveli“ noch die verwöhntesten Ohren begeistern.
Anita Rachvelishvili wagt sich aber auch ins dramatischere italienische Fach mit zwei Arien der Eboli aus Verdis „Don Carlo“, dem expressiven „Condotta ell’era in ceppi“ aus „Il Trovatore“ und als Vorschau auf ihr Rollendebüt im April 2018 (Teatro dell’Opera di Roma) die Arie der Santuzza aus Pietro Mascagnis „Cavalleria rusticana“. Der Übergang zu diesen Rollen ist alles andere als unheikel. Besonders die beiden Verdi Heroinen stellen einen echten stimmlichen Offenbarungseid dar. Hier gilt es auch die einzige Einschränkung eines sonst durchwegs beglückenden Albums vorzunehmen. Die Dramatik in der Mittellage nimmt offenbar so viel Kraft in Anspruch, das die Akuti am Ende der Arien von Il Trovatore und in Ebolis „O don fatale“ Frau Rachvelishvili an ihre natürlichen Grenzen führen. Wie frei klingt im Vergleich dazu der hohe Schlusston aus Gounods Sapho. Schade wäre es, falls die vielen Verdi-Rollen im aktuellen Kalender der Künstlerin schwerpunktmäßig nicht doch eine Spur zu früh kommen und sich auf die lyrische Farbenpracht oder den ruhig pastosen Fluss der Stimme negativ auswirkten.
Sowohl das Orchestra Sinfonica Nazionale della RAI unter der behutsamen Leitung von Giacomo Sagripanti, als auch der Chor des Teatro Municipale di Piazenza tragen ebenso zum Gelingen dieser gesanglich hoch erfreulichen und programmatisch fein abgestimmten Debüt-CD bei.
Termine Berlin 2018: 9. und 12. Mai (Il Trovatore) an der Deutschen Oper
Dr. Ingobert Waltenberger