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Andreas BECK (Intendant Theater Basel) – „Theater hat nicht nur einen Unterhaltungswert, sondern auch einen Bildungsauftrag

Interview mit Andreas Beck, Intendant Theater Basel

Peter Heuberger sprach mit Andreas Beck im Januar 2016


Andreas Beck. © Simon Hallström

Andreas Beck, 101 Tage nach der ersten Musiktheaterpremiere in Basel unter Ihrer Intendanz: Wenn ich den bisherigen Erfolg in Musiktheater, Ballett und Schauspiel betrachte, sind Sie nicht nur in Basel angekommen, sondern Sie sind in Basel!

Und vergessen Sie bitte nicht das Ballett! Wir hatten in der Tat ein Motto: „Sie befinden sich hier!“ Und inzwischen können wir, glaube ich, sagen: wir sind hier und angekommen. Wir befinden uns nicht mehr im Moment der Annäherung, sondern wir sind in Basel!

Die Produktionen unter Ihrer Intendanz wie z.B. „CHOWANTSCHINA“, „TEWJE“, „DIE ZAUBERFLÖTE“, „ANTIGONE“, „EREIGNISSE“, „DER FREMDE“, „DAS SPARSCHWEIN“, „JESUS CHRIST SUPERSTAR“ und andere mehr sind sehr aufwändig produziert. Die Politik fragt bei der  Finanzierung von Kulturaktivitäten oft nach dem wirtschaftlichen Nutzen!“ Ist Kultur und Bildung in jeder Form nicht eine Pflicht, ein Muss der öffentlichen Hand ohne die Frage nach der Wirtschaftlichkeit?

Ja natürlich! Theater hat ja nicht nur einen Unterhaltungswert, es hat auch einen Bildungsauftrag. Und bedenken Sie nur die Entwicklung des bürgerlichen Theaters in Abgrenzung zum höfischen Theater der Lustbarkeiten. Oder: Die Freie-Volksbühnen-Bewegung in Berlin zu Beginn des 20. Jahrhunderts als Beispiel der Arbeiterbildung, die vor allem durch Theater stattfand. Interessanterweise sind es heutzutage gerade national-konservative Kreise, die den Bildungsauftrag des Theaters oder der Kulturinstitutionen überhaupt gefährden, da sie für starke Kürzungen im Kulturbereich einstehen – früher waren es eher linke Gruppierungen, die sich gegen den vermeintlich elitären Kulturbetrieb stellten. 

Walter Felsenstein hat an der komischen Oper in Berlin jedes Werk in deutscher Sprache inszeniert: „Ich mache nicht Theater für einige Spezialisten, sondern für alle!“ Das hängt ja auch mit dem Bildungsauftrag des Theaters zusammen!

Nun, mit Felsenstein verbindet man ja nicht zufällig den Begriff Musiktheater. Das von Ihnen erwähnte Zitat ist aber  auch vor dem politisch-ideologischem Gesamtkontext zu sehen, in dem Felsenstein wirkte. In der DDR ging es um einen Realitäts- und Verständlichkeitsanspruch, dem die Oper ebenso zu folgen hatte. Aber die Oper gesellschaftsrelevant zu gestalten, war ja eine Forderung der frühen 70er Jahre. Einer Zeit, in der manche Kritiker der Oper nur mehr eine kurze Überlebensdauer zugestanden hatten. Heute ist der Eskapismus der Oper wieder der besondere Reiz für BesucherInnen. Wir leben ja in einer Zeit, in der viele Medien auf unterschiedliche Weise dem Eskapismus Raum bieten. Und so wurde die Oper, könnte man meinen, neu entdeckt. So ist es auch kein Zufall, dass die Barockoper erst in den späten 80er/90er Jahren wieder entdeckt worden ist. 

Viele PolitikerInnen fordern vom Theater Basel eine wesentlich höhere Eigenwirtschaftlichkeit bis hin zu einer 100% Selbstfinanzierung. Wie kann sich ein Theater, eine Kulturinstitution, ohne massive Preiserhöhung, resultierend in weniger Publikum, zu 100 % Selbst finanzieren. Sollte der politische Trend nicht eher umgekehrt liegen: Tiefere Preise mehr Zuschauer? Dies würde wahrscheinlich einen höheren Subventionsgrad bedingen.

Sie haben völlig Recht, grundsätzlich sollte – nein: muss – Kultur, denn sie wird ja darum öffentlich finanziert, allen zugänglich sein. Das ist übrigens unser Credo, und so versuchen wir nicht nur ein Programm für alle Bevölkerungsschichten zu gestalten, sondern auch beim Ticketing nach und nach und immer weiter neue und gerade für weniger einkommensstarke Bürgerinnen und Bürger Angebote zu erstellen, dass der Kauf einer Theaterkarte nicht am Portemonnaie scheitern kann. 

Das andere Extrem, also dass Theater eben Geschäft – nennen wir es Showbiz – ist, finden Sie im angelsächsischen Raum; dort können Sie erleben, dass Theater sich sehr weit selbst tragen. Nur was das bedeutet, können Sie dort auch sehen: da ist Theater nämlich ausserhalb der grossen Metropolen nicht mehr vorhanden, d.h. wenn sie Theater rein wirtschaftlich verstanden wissen wollen, riskieren Sie nicht nur Standorte, sondern einmal mehr die Möglichkeit, dass Theater für jedermann zugänglich ist – lokal wie preistechnisch. Weil es in kleineren Stadtregionen eben wahrscheinlich keins mehr geben wird, weil es gar nicht mehr wirtschaftlich interessant ist. Man schaue nur auf die Musicaltheater. Daran erkennt man sehr schön, dass in die Nicht-Metropolregionen grosse Produktionen oder A-Produktion überhaupt nicht hinkommen.  Ich denke aber auch: Kunst- und Kultur-Institutionen sind besonders für kleinere Stadtregionen wichtige Aushängeschilder, die nicht nur den Wirtschaftsstandort, sondern auch den Lebensort interessant machen – und sicher wettbewerbsfähiger. Das Theater Basel gibt so immer wieder eine schöne Visitenkarte im Ausland für die Stadt und die Region ab. Man denke nur an das Ballett jüngst in Japan und Korea oder die internationalen Koproduktionen von Oper und Schauspiel. 

Musiktheater wird entsprechend der Musik inszeniert. Im Schauspiel sollte die Regie den Künstlern auf der Bühne nach meinem Empfinden die Möglichkeit geben, Kopf und Bauch (Calixto Bieito: Musik durch Sprache) anzusprechen?

Regisseurinnen und Regisseure sind heute Spielleiter. Und das Spiel kann eben sehr unterschiedlich aussehen oder angeleitet werden. Mal ist es eher der Narration, ein andermal dem Diskurs verpflichtet. Ich persönlich interessiere mich mehr für Erzählungen als für Lehrveranstaltungen auf dem Theater. Ich denke, dass Dokumentationen im Film oder in anderen Medien pointierter sein können. Aber ich lasse mich immer gern überraschen und vom Gegenteil überzeugen – gutes Theater überrascht einen doch immer und es ist gut so, wenn es die eigenen Erwartungen überwältigt, denn das ist eine Aufgabe der Kunst. 

Ich habe noch nie festgestellt, dass im gleichen Haus zu ähnlicher Zeit das gleiche Werk als Oper und Schauspiel auf die Bühne gebracht wurde. Es gibt sie, die von namhaften Komponisten vertonten Werke: MACBETH, OTHELLO, FALSTAFF, DER WIEDERSPENSTIGEN ZÄHMUNG, als Musical KISS ME KATE und andere mehr. Könnte dies nicht Synergieeffekte bei den BesucherInnen auslösen?

Ich weiss nicht, ob ein Haus so eine thematische Doppelung leisten sollte, sprich denselben Stoff in unterschiedlichen Bearbeitungen in den verschiedenen Sparten zu zeigen. Für ein Fachpublikum mag das interessant sein, aber ich glaube unsere wenigen Positionen und das doch inzwischen recht knappe Geld, sollte möglichst breit, thematisch weit aufgefächert, verwandt werden. 

Dem widerspricht aber nicht, und dafür steht ja das Theater Basel als Dreispartenhaus unter meiner Leitung auch, dass sich bestimmte Themen-Schwerpunkte oder erzählerische rote Fäden durch den Spielplan und durch die unterschiedlichen Sparten schlängeln. So hatten wir am Anfang der Spielzeit, könnte man sagen, einen russischen Schwerpunkt oder dann gäbe es auch den Antikenschwerpunkt im Spielplan. Also solche Anreize zu schaffen, die nächste Premiere, vielleicht sogar in der Nachbarsparte, auch nicht zu verpassen, die möchten wir schon bereiten. 

Viele Dank Andreas Beck, dass Sie sich für den Neuen Merker Zeit genommen haben.

Das Gespräch führte Peter Heuberger Basel

 

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