ZWISCHEN EROTIK-DICHTERFÜRST UND ASCHENBACH: ALEXANDER KAIMBACHER PROBT IN BLINDENMARKT „BOCCACCIO“ VON SUPPÉ.
EIN VORAUS-INTERVIEW MIT PETER DUSEK
Alexander Kaimbacher. Copyright: Lukas Beck
Wir treffen uns im Café Weimar nahe der Volksoper. Alexander Kaimbacher erscheint mit obligatem Wuschelkopf per Fahrrad. Er pendelt derzeit – allerdings mit dem Auto – zwischen Wien und Blindenmarkt, wo der umtriebige Intendant der Oper in Klosterneuburg, Michael Garschall, seit Jahren mit den „Blindenmarkter Herbsttagen“ sein zweites künstlerisches Standbein in seinem Heimat-Ort aufgebaut hat. Er beweist einmal im Jahr, dass die klassische Operette Zukunfts-Chancen hat. Und zwar durch minutiöse Regie (heuer Isabella Gregor) und durch moderne Singschauspieler, die ihre Rollen ernst nehmen. Und so bereitet sich Alexander Kaimbacher soeben auf sein Rollendebüt als Boccaccio in der gleichnamigen Operette von Franz von Suppé vor, verwandelt sich aus dem Aschenbach in Brittens „Tod in Venedig“ (in Bielefeld) in den erotisierenden Schöpfer des „Decamerone“. Er vergisst den Zauberflöten-Monostatos und den Triquet in Eugen Onegin und schlüpft in das Kostüm des Erotik-Dichterfürsten Boccaccio. Und wird einmal mehr sein Persönlichkeits-Profil schärfen. Denn Alexander Kaimbacher, der im Jahr 1969 in Villach geboren wurde und seit 1997 auf eine ganz und gar unkonventionelle Karriere zurückschauen kann, steht für Ausgefallenes wie zuletzt in der Neuen Oper Wien mit der „Nase“ von Schostakowitsch oder für Komik etwa als Tanzmeister in Ariadne (Wiener Staatsoper). Am wenigsten assoziiert man mit ihn mit einem Operetten-Liebhaber. Meine erste Frage liegt auf der Hand:
D: Täusche ich mich, aber die Operette steht nicht im Mittepunkt ihrer Karriere, die einen Hang zur Moderne, zum Exzentrischen aufweist – in jedem Fall eine enorme Viel-Gesichtigkeit vermittelt?
K: Da haben Sie nicht ganz Recht. Mein Bühnendebüt – nach meinem Studium in Wien u.a. bei Hilde Rössl-Majdan -– fand im 1997 Stadttheater von Baden bei Wien statt. Immerhin als Orpheus in der Offenbach-Operette „Orpheus in der Unterwelt“. Und im Jahr 2000 sang ich den Caramello in der „Nacht von Venedig“ von Johann Strauss an der Wiener Kammeroper. Im Jahr darauf kam der Symon im „Bettelstudent“ von Millöcker bei den Operettenfestspielen in Bad Hall heraus und im gleichen Jahr war ich als Zarewitsch in Langenlois zu erleben, 2002 als Herzog in „Nacht in Venedig“ sowie – im gleichen Jahr – als Stefan im „Fidelen Bauer“ in Baden bei Wien. 2003 trat ich wieder einmal als Orpheus auf, diesmal an der Grazer Oper. 2005 kam der Ajax in einer weiteren Offenbach Operette in der „Schönen Helena“dran – nun bereits in München, 2006 der Rossilon in der „Lustige Witwe“ in Liechtenstein. Dann kam es zum 3jährigen Fixengagement an der Wiener Staatsoper – sie waren tatsächlich fast „Operetten-frei“ (wenn man von einem Saint-Brioche in der „Lustigen Witwe“ im Jahr 2008 an der Mailänder Scala unter Asher Fisch absieht). Doch schon 2010 engagierte man mich in Kittsee als Schober im Dreimäderlhaus“, 2014 war ich mit großem Erfolg zum ersten Mal in Blindenmarkt mit dabei – und zwar als Leopold im „Weissen Rössl“ von Ralph Benatzky.2015 holte man mich für den „Opernball“ von Heuberger als Henri nach Graz. Und im heurigen Sommer war ich Anton in der „Juxheirat“ von Lehar in Bad Ischl. Die Operette zieht sich also wie ein roter Faden durch meine bisherige Karriere.
D:Wie sind Sie denn zur Oper gekommen? Sind Sie nicht in die Sängerlaufbahn fast ein wenig „hineingeschlittert“ ?
K: Ja durchaus, die Oper bzw. klassische Musik spielte bei uns zu Hause nur eine marginale Rolle. Mein Vater war Eisenbahner und meine Mutter war mit uns 3 Kinder voll ausgelastet. Ich habe noch zwei ältere Schwestern, und eine davon ist derzeit Bürgermeisterin von Klagenfurt.
D: Wann und warum wollten sie zur Oper?
K: Doch schon sehr früh – immerhin habe ich schon als Knirps – mit 6 Jahren davon geträumt eines Tages Sänger zu werden. Und mit 12 Jahren bin ich erstmals beim Carinthischen Sommer aufgetreten und zwar mit einem Knaben-Sopransolo.
D: Dennoch hat es eine Zeit gegeben, in der sie alles Mögliche ausprobiert haben. Sie versuchten sich als Schauspieler und Regisseur, gingen zum Bundesheer und studierten schließlich in Wien Musikwissenschaft, Germanistik und Theaterwissenschaft. Sie waren Waldorf-Lehrer, wirkten als Vortragender an Volkshochschulen und verfassten Publikationen für den Stadtschulrat. Sie unterrichteten an einer Steiner-Schule in Wien und arbeiteten mit Schwerstbehinderten in Kärnten – waren das die „Kaimbacher’s Lehr- und Wanderjahre“?
K: Jein! Denn ab meinem Gesangsstudium war klar, dass ich zur Oper wollte! Immerhin habe ich noch die Glanzzeit von Luciano Pavarotti und Placido Domingo live am Stehplatz der Wiener Staatsoper erlebt – und so wurde ich regelrecht „opernsüchtig“!
D: Für mich sind Sie sehr rasch zu einer der „Säulen“ der „Neuen Oper Wien“ mit Walter Kobera geworden. Was war dort Ihr Debüt?
K: Der Rustichello bzw. Li Po in „Marco Polo“ von Tan Dan mit dem Dirigenten Walter Kobera im Jahr 1999, Regie Erwin Piplits.
D: Ich erinnere mich noch sehr genau – Alexander Kaimbacher, der Vollblut-Komödiant wurde quasi über Nacht zum Markenzeichen für modernes Operntheater!
K: Und dann ging es Schlag um Schlag: 2000 Titelrolle von Candide von Leonard Bernstein (Walter Kobera+ Regie Leonard Prinsloo), im gleichen Jahr wieder bei der Neuen Oper – Albert in „Albert Herring“ von Benjamin Britten.
Ein Jahr später kam der Lysander in Britten’s „Sommernachtstraum“ an der Volksoper und dann im Jahr 2003 war ich der Pferdeknecht in der Georg Friedrich Haas-Uraufführung in „Die schöne Wunde“ bei den Bregenzer Festspielen (Regie David Pountney). 2005 nahm ich als Geppone an der Uraufführung des HK Gruber-Stückes „der herr nordwind“ in Zürich teil. 2006 kam wieder die Neue Oper Wien an die Reihe: In „Zauberflöte 06“ von Thomas Pernes war ich Tamino und im Folgejahr verwandelte ich mich in den Prinz in „Tea“ von Tan Dun bei der Neuen Oper Wien.
Das 3jährige Fest-Engagement an der Staatsoper von 2007 – 2010 war im Grunde nur eine logische Folge dieser Entwicklung. Immerhin habe ich dann Rollen wie den Jaquino in „Fidelio“, Monostatos in „Zauberflöte“ oder den Steuermann im „Fliegenden Holländer“ mit den besten Sängern der Welt interpretieren können. Sehr gelobt wurde ich auch als Triquet in„Eugen Onegin“ oder als Valzacchi im „Rosenkavalier“. Und auch „Meistersinger“ unter Thielemann war ein unvergessliches Erlebnis, wenn auch nur als Kunz Vogelgesang…
D:Und doch haben Sie das Fix-Engagement 2010 nicht fortgesetzt. Obwohl Sie in Wien eine Theater-Familiengründung begonnen hatten?
K: Ja das stimmt, ich habe die Studienleiterin der Neuen Oper – Anna Sushon – geheiratet und mit ihr 3 Söhne aufgezogen, die alle schon Opern- bzw. Theater-süchtig sind. Aber ich habe –an der Staatsoper einfach zu wenig Freiräume für Neues und Experimentelles vorgefunden. Denn wenn ich nicht gesungen habe, war ich „Cover“…
D: Haben Sie ihre Entscheidung gegen die Fortsetzung des Fix-Engagements je bereut?
K: Keine Minute. Ich kann mir die Angebote aussuchen, singe viel in Rom, Mailand und in Turin, in Chicago habe ich mein USA-Debüt mit dem „Buch mit 7 Siegeln“ gehabt. Ein wichtiger Ort ist für mich seit 2012 München , da trete ich in Fidelio als Jaquino neben Jonas Kaufmann, in den „Soldaten“ unter Kyrll Petrenko und in Manon Lescaut wieder mit Kaufmann und Opolais auf. Und außerdem gebe ich Liederabende, bin bei Plattenaufnahmen mit dabei und habe nicht zuletzt für die Neue Oper wieder Zeit – 2018 soll es dort neuerlich eine Bernstein-Oper geben. Davor in Graz eine „Zirkusprinzessin“ und bei den Wiener Festwochen 2017 den „Mondparsifal“ unter Jonathan Meese.
D: Haben Sie da Zeit für ein intensives Familienleben und für Hobbies?
K: Alles hängt von einer guten Planung ab. Wenn ich von diversen Engagements zurückkomme, widme ich mich oft Wochen ganz meiner Frau und den 3 Söhnen im Alter von 8, 12 und 15. Die drei sind übrigens echte „Theaterkinder“! Und auch meine sportlichen Hobbies teile ich mit Ihnen. Da wird gewandert auf die höchsten Gipfel – wir waren alle zusammen etwa am 3600 Meter hohen Großvenediger.
D: Sie sind also rundum zufrieden?
K: Ich glaube, dass ich aus meinen körperlichen wie vokalen Möglichkeiten das Maximum heraus geholt habe. Insofern bin ich wohl ein „glücklicher Komödiant“! Und vielleicht spürt das mein Publikum.
D: Dann danke ich für das Gespräch und drücke ich die Daumen für die Boccaccio-Premiere in Blindenmarkt!