Alessandro Deljavan: „Alles ist möglich – und das ist gut so!“
Alessandro Deljavan. Copyright: Deljavan
Ein Geheimnis seiner oft als „hypnotisch“ beschriebenen Recitals liegt bei Alessandro Deljavan in einer von tiefem Nachdenken geprägten künstlerischen Haltung. Ein Juror bei einem Wettbewerb riet ihm einmal, doch besser wie ein „normaler“ Pianist zu spiele, um auch den ersten Preis abräumen zu können. Für Deljavan war dies eher ein Ansporn, sich noch mehr auf seine künstlerische Eigenwilligkeit zu besinnen. Um noch unabhängiger von Fremdbestimmungen zu sein, hat er in diesem Jahr ein eigenes Label gegründet, bei dem schon zwei Releases vorliegen.
Das Interview führte Stefan Pieper
Alessandro, wo leben Sie im Moment?
Ich lebe in Italien. Ich habe in der Kleinstadt Villamagna einen ehemaligen Konvent gekauft. Das liegt in den Abruzzen. Das Meer und die Berge sind jeweils eine Viertelstunde von meinem Haus entfernt und ich kann beides sehen. Es ist sehr ruhig hier. Genau danach habe ich gesucht.
Auf ihrem neuen Promo-Video zur aktuellen Veröffentlichung mit Liszts Mephisto-Walzer liegen Sie im Bett und geben Ihrem Publikum die Empfehlung zu dieser Musik sozusagen als Gutenachtgruß mit auf den Weg. Warum das?
(Lacht) das war die verrückte Idee meiner Agentin Kathy Geisler. Sie ist gerne etwas kreativ, um für mich unkonventionell Werbung zu machen. Meine Art ist das nicht unbedingt so. Ich schätze mich in dieser Hinsicht sogar als etwas schüchtern ein. Aber Kathy hat viel Spaß daran und viel Humor.
Ich fand die Idee sehr erfrischend! Mal etwas anderes….
Das ist schwer genug, wo jeder schon alles gemacht hat in der Musikwelt. Ich selber fühle mich gar nicht als der große Erfinder vor dem Herrn. Ich bin ja eher der selbstzweiflerische Typ.
Trifft das auch für Ihr künstlerisches Selbstverständnis zu?
Ich bin mir meines Wertes als Musiker absolut bewusst. Aber ich freue mich, wenn mir jemand den Job abnimmt, über mich zu reden .
Sind Sie ein ausgesprochener Anti-Stadtmensch?
Das würde ich nicht so pauschalisieren: Alles ist möglich und das ist gut so. Das Leben wird durch seine verschiedenen Phasen erst richtig bunt.
Können Sie ein paar Orte aufzählen, die für Sie und Ihre künstlerische Biografie besonders wichtigs waren?
Vor allem vermisse ich China! Ich vermisse diesen hohen Respekt vor der Kultur, der jedem Menschen aus Europa entgegen gebracht wird. Aber ich vermisse auch Texas, wo ich eine zeitlang zu tun hatte. Die Weiträumigkeit dort ist großartig. Ein ganz besonderer Ort, der wirklich mein Leben verändert hat, ist die süditalienische Stadt Matera. Sie kennen diese Stadt vielleicht aus Mel Gibsons Film „Die Passion Christi“, der hier gedreht wurde. Es ist zugleich jene Stadt, in der ich zum ersten Mal als Lehrer an einem Konservatorium gearbeitet habe. Ja, dieser Ort hat mich in eine andere Welt versetzt.
Von wo stammen die wundervollen Hintergrundfotos auf Ihrer Website?
Die sind vom Lago di Como, wo ich vor langer Zeit studiert habe. Hier bin ich meinen wichtigsten Lehrern begegnet, zum Beispiel Dimitri Bashkirov , Fou Ts’ong, Andreas Staier und William Grant Nabore.
In welcher Hinsicht haben diese Professoren Sie geprägt?
Die lehrreichste Erfahrung ist für mich, jemanden spielen zu hören. Das vermittelt mir eine Idee von Klang.
Eine Vorstellung von Ihrem Klangideal habe ich ja, seit ich Ihre aktuelle Liszt-CD rauf und runter höre. Wie lautet Ihre Definition von idealem Klavierklang?
Ich mag keine perkussiven Aspekte beim Klavierspielen. Ich möchte, soweit es geht, jede Aggressivität vermeiden.
Was waren bislang Ihre größten künstlerischen Herausforderungen?
Ich würde lieber antworten, was meine wichtigsten Ziele bislang waren und welche noch in der Zukunft auf mich warten. Also: Ich möchte gerne beide Klaviertrios von Franz Schubert in einem einzigen Konzert spielen. Das könnte eine Erfahrung sein, die noch mal mein Leben verändert. Zwei andere Wunschträume sind bereits in Erfüllung gegangen: Ich habe bereits beide Klavierkonzerte von Johannes Brahms gespielt und vor kurzem auf eigenem Label Bachs-Goldberg-Variationen aufgenommen.
Können Sie den Prozess beschreiben, wie Sie eine Komposition einstudieren und schließlich aufnehmen?
Das ist alles in jedem Moment ein Teil meines normalen Lebens. Aus einem solchen permanenten Ideenfluss heraus entstehen meine CD-Aufnahmen. Ich kann nicht verstehen, wie andere Pianisten sagen, dass sie für die Konzeption und Aufnahme einer CD 15 Jahre lang mit sich gerungen haben. So etwas ist verrückt. Natürlich hängt es vom Sujet ab, wie lange man damit beschäftigt ist. Franz Liszt zum Beispiel begleitet mich nun schon über sehr lange Zeiträume. Ich habe mit Liszt angefangen, als ich 15 Jahre alt war. Die aktuelle Aufnahme habe ich dann über den Zeitraum von drei Monaten vorbereitet. Es kommt immer auf den Moment an, hier sehr fokussiert und sicher zu sein. Dafür ist zu viel zeitliche Ausdehnung manchmal sogar oft kontraproduktiv.
Sie haben bereits über 65 Tonträger aufgenommen und sind damit schon jetzt einer der am meisten aufgenommenen Pianisten. Sehen Sie das als Resultat einer solchen Haltung?
Das hat etwas damit zu tun. Viele Pianisten haben nicht begriffen, dass Aufnehmen immer eine Momentaufnahme ist.
Wie arbeiten Sie mit dem Toningenieur zusammen?
Ich versuche, so viel wie möglich in einem zu spielen. Üblicherweise spiele ich jedes Stück dreimal, dann ist es fertig . So habe ich es bei den Goldberg-Variationen gemacht. Krampfhaft die ultimative Perfektion zu suchen, halte ich für naiv. Denn perfekt wird es nie sein. Auch nicht, wenn ich drei Stunden lang auf zwei Triolen herum reite.
Warum haben Sie in diesem Jahr ein eigenes Label gegründet?
Dieser Schritt steht für meine Philosophie, wirklich einen Moment meines Lebens aufzunehmen. Ich fühle mich am besten, wenn ich alles unter eigener Regie machen kann.
Lassen Sie uns den Bogen noch mehr ausweiten: Was machen Sie grundsätzlich anders als die meisten anderen Pianisten?
Ich möchte gar nicht so viel Eigenwerbung betreiben, zumal dieses Promotion-Ding sowieso nicht meins ist. Jeder interessante Musiker ist für sich einzigartig. Ich kann nicht argumentieren, warum Menschen gerade mir zuhören sollen und nicht jemand anderem.
Das klingt ehrlich und bescheiden. Was empfinden Sie bei Wettbewerben?
Ich habe bis zum Alter von 26 an Wettbewerben teilgenommen. Meine Empfindungen sind heute schwer zu beschreiben. Für mich war die Cliburne Competition eine hilfreiche Plattform, um öffentliche Präsenz zu bekommen. Viele Menschen erinnern sich an mich durch meine Auftritte bei diesem frühen Wettbewerb. Dabei habe ich später viele andere Wettbewerbe eingespielt und Konzerte gegeben. Wettbewerbe führen dazu, dass Du in den Köpfen der Leute drin bist. Sie sind unverzichtbar für die junge Generation – und auch hier geht es nicht um die Preise, sondern um Medienpräsenz. Alles wird heute live gestreamt. Die Leute erinnern sich an Dich, auch wenn du keinen Preis abräumst. Ich habe für mich selbst schon eingeschätzt, dass ich nicht unbedingt alle Preise im Sturm abräumen werde. Dafür ist meine Botschaft zu individuell und es liegt mir fern, mich durch irgendetwas verbiegen zu lassen.
Ich habe den Eindruck dass Sie deutlich mehr Reichweite auf spotify und co haben als viele Ihrer Kollegen. Was für eine Rolle spielt das für Sie?
Ich muss sagen, auf mich und meine Karriere hat das keine große Auswirkung. Das Streaming verbreitet in der Regel nur eine Handvoll „Hits“ mit Wiedererkennungsfaktor, etwa die „Gymnopedie“ von Eric Satie, während die künstlerische Bandbreite im Gesamten außen vor bleibt. Die finanzielle Seite ist für Dich als Künstler genauso desillusionierend. Eine Produktion kostet mich jedes Mal viel Geld. Aber durch das Streaming kommt so gut wie nichts wieder rein.
Sie sind ja auch Lehrender! Was geben Sie Ihren Studentinnen und Studenten mit auf den Weg?
Heute in meiner Tätigkeit als Lehrer muss ich auch feststellen, dass viele junge Interpreten regelrecht Angst vor der Jury haben. Wenn Sie zu mir kommen, sage ich ihnen sinngemäß: Versuche, Deine Persönlichkeit zu erkennen und zu entfalten – oder höre auf zu spielen.
Musiker sind ja durchaus in demselben Zwiespalt wie in unserer Gesellschaft im Ganzen. Man steht im Leben so oft an einem Scheideweg: Entweder bleib du selbst, oder mach Karriere. Letzteres heißt in unserem Beruf normalerweise, möglichst viele Konzerte zu spielen oder bei einer bestimmten prominenten Figur studiert zu haben, wo es vor allem um den Namen geht. Du kannst noch so talentiert Fußball spielen – wenn du dein ganzes Leben in einem kleinen Team der Provinz spielst, wird nie so viel dabei herumkommen, wie wenn du bei Real Madrid landest.
Was für ein Fazit ziehen wir daraus?
Letztlich geht es darum, das zu finden, womit man sich am besten fühlst .