ALBINA SHAGIMURATOVA – Koloratursopran mit tatarischen Wurzeln singt an der Wiener Staatsoper erstmals Mozarts „Donna Anna“
Ein Porträt
Samstag, 25.2.2017, Café Museum: Ich bin mit Frau Shagimuratova zum Interview verabredet. Sie kommt gerade von der ersten Ensemble-Probe für die nächste Don Giovanni – Serie (Vorstellungen: 2. / 5. / 9.3.). Erster Eindruck: Das Gegenteil einer Primadonna. Sie betritt ganz unauffällig das Café, sie „erscheint“ nicht. Sie wirkt vom ersten Augenblick an sympathisch, ist freundlich, höflich, offen gegenüber dem für sie völlig neuen Interviewer, bescheiden im Auftreten, Sprechstimme: angenehmes Piano. „Einen Capuccino, bitte!“ an den Kellner.
Albina Shagimuratova. Foto: Andrea Masek
Ganz zu Beginn der Direktion Dominique Meyer, am 7. September 2010, gibt sie in der Zauberflöte ihr Staatsoperndebüt als Königin der Nacht in der Marelli – Inszenierung (Dirigent: Ivor Bolton), vom Publikum und der Kritik gefeiert. „Merker“- Kollege Peter Dusek sei stellvertretend zitiert: „Albina Shagimuratova sang die erste Arie mit viel Stimmeinsatz, in der großen Rachearie explodierte sie förmlich. Die Koloraturen (samt den gefürchteten F‘s) kamen gestochen scharf und das Ganze hatte die Wirkung eines akustischen Vulkans. Großartig!“
Es folgen 9 weitere „Zauberflöte“- Vorstellungen bis Dezember 2016 und 2x Musette im Haus am Ring. Im März also Donna Anna. Ein Sopran mit ausladender Höhe, gestochen scharfen Koloraturen und lyrischer wie dramatischer Ausnahmequalität. Von Mozart über Bellini und Donizetti bis hin zum frühen und mittleren Verdi. Russisches Repertoire von Glinkas „Ruslan und Ljudmila“ bis zu Opern von Rimskij – Korsakow („Der goldene Hahn“) eingeschlossen.
Königin der Nacht, eine Schicksalsrolle?
Ja, natürlich. Ich hatte 2007 den 1. Preis beim Tschaikowsky – Wettbewerb in Moskau gewonnen, und 2008 war dann schon mein Europa-Debüt mit der Königin der Nacht unter Maestro Riccardo Muti bei den Salzburger Festspielen! Und ich singe sie bis heute sehr gern. Das Problem ist aber dann: Viele Opernhäuser fragen nur noch für Königin der Nacht an. Bei Covent Garden London, der Münchener Oper und eben der Wiener Staatsoper war es anders: Sie wollten und wollen auch andere Mozart-Rollen von mir hören. In der Zwischenzeit kamen zum Beispiel auch Konstanze (Entführung aus dem Serail) in München, Donna Anna in Covent Garden London (unter Antonio Pappano) dazu. Jetzt also Donna Anna in Wien, demnächst auch die Contessa in Nozze di Figaro in München. Mozart werde ich auf jeden Fall sehr viel weiter singen. Mozart ist total gesund für die Stimme, wenn er auch sehr schwierig ist. Für mich besonders die Konstanze! Die ist eine Herausforderung mit der lyrischen Arie „Traurigkeit ward mir zum Lose“ und dann gleich darauf „Martern aller Arten“!
Gehen wir zu den Anfängen zurück. Geboren im Oktober 1979 in Taschkent, Angehörige der Volksgruppe der Tataren, Eltern keine Musiker (Juristen), aber sehr musikbegeistert. Mit 5 Jahren erster Klavierunterricht…
… was vor allem mein Vater sehr unterstützt, aber auch das Üben dann genau überwacht hat. Viele Stunden saß er bei mir, während ich übte. Elf Jahre lang spielte ich also Klavier, vom Singen war zuerst gar keine Rede. Klaviervirtuosin wollte ich werden, spielte auch gut – immerhin kann ich mich nun beim Rollenstudium selbst begleiten! – aber es wurde mir klar gemacht, dass für eine Pianistenkarriere meine Finger nicht lang genug seien. Da gab es dann auch Tränen. Aber nicht lange! Ich sang ab dem 11. Lebensjahr mit Begeisterung in einem Chor mit. Tatarische Folklore. Aber von Oper noch keine Spur, in Taschkent gibt es auch kein Opernhaus, aber: mit 12 Jahren hörte ich im Radio eine Wiedergabe von „La Traviata“ mit Maria Callas. Das war ein „Wow“-Erlebnis! Und dennoch nicht so, dass ich jetzt sagte, das will ich auch einmal singen! Weiter im Chor gesungen, auch schon mal ein Solo übernommen, aber das Berufsziel war: Chor-Dirigentin! 1993 habe ich in Taschkent die Schule abgeschlossen. Ich hatte durchaus eine glückliche Kindheit – aber ich spürte zugleich: In Usbekistan waren wir eine Minderheit und, ähnlich wie die Juden und Russen, Bürger 2. Klasse. Meine Eltern gingen mit mir 1994 nach Russland und siedelten sich in Kasan an, wo sie übrigens heute noch leben. 1997 traf ich einen Opernsänger, als ich wieder ein Chorsolo sang. „Mach etwas aus dieser Stimme, du wirst einmal in La Scala und in Wien singen!“ Ich nahm seine Worte nicht ernst. 1998 traf ich ihn wieder – und er war ziemlich böse, dass ich immer noch keine Opernausbildung angedacht hatte. Nun drängte auch mein Vater, ich solle doch Gesang studieren. Aber nach Moskau zur Ausbildung wollte er mich nicht allein schicken („Großstadt, sehr gefährlich für ein junges Mädchen“!). Auch sonst war dieser Start sehr schwierig. 1999 bis 2001: drei Versuche, im Konservatorium aufgenommen zu werden. Zweimal bei Auditions gehört: „Keine Stimme, kein Talent!“. Erst als Geld „Protektionshelfer“ war, hatte ich plötzlich wieder Stimme. Fünf Jahre brachten die Eltern große finanzielle Opfer, um mir die Ausbildung zu ermöglichen. Dann ging es auf einmal schnell: Noch als Studentin Debüt am Bolschoi-Theater als Musette, dann Opernstudio (ein Young-Singers-Projekt) in Houston, naja, und dann kam bald Salzburg …
Mittlerweile singen Sie im Mariinski-Theater St. Petersburg (mit Valery Gergiev), am Bolschoi-Theater Moskau, an der Met in New York, weiter in Houston, in Los Angeles, in San Francisco, in Chicago (als Lucia di Lammermoor mit Piotr Beczala Maßstäbe setzend), in Covent Garden London, an der Opera Bastille in Paris, an der Mailänder Scala, in München und in Wien. Der damalige Operntenor hatte also Recht …
… ja, und mittlerweile bin in ich auf vier Jahre im Voraus ausgebucht! Mit einigen neuen Rollen-Herausforderungen! Zum Beispiel Mozarts „Mitridate“, in der Rolle der Aspasia mit Graham Vick (Regie) und Christophe Rousset am Pult im Juni/ Juli an Covent Garden London oder Rossinis Semiramide in München 2018, eine besonders herausfordernde Rolle. Dramatik und Koloraturen!
Macht „jet lag“ Probleme? Sie sind sehr viel unterwegs zwischen den Kontinenten. Reisen sie gerne?
Jet lag macht mir eigentlich keine Probleme. Aber ich reise nicht wirklich gern…
… zumal sie Familie in Mokau haben. Sie leben mit ihrem Ehemann, einem Psychologen, dort und sind Mutter eines zweijährigen Mädchens. Wie geht das alles zusammen? Künstlerleben und der Alltag?
(Denkt lange nach): Ja, das ist ein Problem. Mein Mann unterstützt mich sehr – und wir haben halt auch eine „Nanny“. Natürlich möchte ich eine gute Ehefrau, eine gute Mutter, überhaupt ein guter Mensch sein – und auch eine gute Sängerin. Und alles zusammen ist manchmal sehr schwer…
Wo gefällt es ihnen bei ihren vielen Opernreisen besonders gut?
(Mit sehr bestimmtem Ton und ganz ohne Schmeichelei): In Wien, Salzburg und München. Es ist noch am nächsten zu Moskau. Und Wien hat eine besondere Atmosphäre…
Wer oder was ist für sie in der Oper am wichtigsten?
Erstens: Der Star ist immer der Komponist! DANN kommen Sänger und Dirigent. Die sind für die bestmögliche musikalische Umsetzung wichtig. Und DANN kommt der Regisseur. Schlussendlich bin ich sowohl für traditionelle wie für moderne Sicht offen – wenn es gut und überzeugend gemacht ist!
Welche Rollen wollen sie in der Zukunft singen?
Auf jeden Fall die Norma! Die absolute künftige Traumrolle! Belcanto. Auch anderes von Bellini (Puritani, vielleicht auch Sonnambula). Von Donizetti Maria Stuarda und Anna Bolena.
(Anm.: da könnte es doch ein Gespräch mit Herrn Meyer geben, zumal sich eine sehr schöne Anna Bolena – Inszenierung im Repertoire befindet!). Von Verdi Troubadour – Leonore, vielleicht auch Luisa Miller.
In welcher Sprache singen sie am liebsten?
In Italienisch und in Deutsch!
Nicht in Russisch?
Das ist manchmal selbst für Russen schwierig! Die vielen Konsonanten!
Wagner – ein Lieblingskomponist?
Ja, unbedingt.
Auch singen? Schließlich hat Anna Netrebko erst kürzlich die Elsa in „Lohengrin“ gesungen!
Auch singen! Wäre toll! Ich lerne gerade intensiv Deutsch!
Gibt es sängerische Vorbilder außer der Callas nach dem Radioeindruck?
Ja, durchaus! Als Königin der Nacht waren das zum Beispiel Edda Moser und Cristina Deutekom. Aber auch von denen, die heute singen: Diana Damrau.
Und Dirigenten?
Da ist es vor allem die ältere Generation! Riccardo Muti, ein Talente-Scout, aber auch ein sehr strenger und genauer Dirigent. Dann Gergiev, Zubin Mehta (mit ihm habe ich einmal ein wunderbares Mozart-Requiem gemacht!), James Levine – und dann auch Antonio Pappano, der in London toll arbeitet!
Ich höre, sie schwärmen auch für J.S. Bach?
Seit der Zeit in Russland, wo wir mit den Chören Johannes – und Matthäus – Passion und H – moll-Messe gesungen haben! Das ist so wunderbare Musik!
Ihnen wünsche ich Toi, toi, toi für die kommende Don Giovanni-Serie, alles Gute für die künstlerische und persönliche Zukunft und den Wiener Opernfreunden weitere regelmäßige Auftritte im Haus am Ring!
Vielen Dank für das Gespräch!
Ich danke ihnen!
Karl Masek