Graupa/Schloss: IM GESPRÄCH: ADRIANNE PIECZONKA – 24.4.2018
Adrianne Pieczonka. Foto: Twitter
Eigentlich sollte Christian Thielemann, der Schirmherr der Richard-Wagner-Stätten Graupa, an diesem Abend auf dem (wirklich) „Roten Sofa“ Platz nehmen, auf dem in einer speziellen Veranstaltungsreihe prominente Persönlichkeiten aus ihrer persönlichen Sicht so manches erzählen. Da er aber aus schwerwiegenden persönlichen Gründen kurzfristig absagen musste, hatte Adrianne Pieczonka (auch Adrianna oder Adrienne P.) noch kurzfristiger zugesagt und diesen Platz übernommen, der für sie Ende November vorgesehen war. Thielemann wird dann zu einem späteren Zeitpunkt an dieser Stelle im Gespräch sein.
Trotz ihrer großen Erfolge stand sie schlicht und natürlich Moderator Michael Ernst in ihrer netten, charmanten Art Rede und Antwort und plauderte anekdotenhaft aus ihrem Leben und ihrer Sängertätigkeit. Sie ist – wie sie selbst von sich sagte – „die Frau von nebenan“ geblieben, sportlich und sympathisch, fährt Fahrrad, z. B. in Dresden bei schönem Wetter an der Elbe entlang, und wird auf der Straße kaum erkannt, in Wien oder Kanada schon eher. Mit ihrem Privatleben erregt sie wenig Aufsehen. Als Jugendliche hat sie – wie viele junge Leute – auch bei McDonald gearbeitet. Wenn sie jetzt in Berlin gastiert, wohnt sie nicht im Luxushotel, sondern im bescheidenen Stadtteil Prenzlauer Berg.
Um ihre Person macht sie keinen Kult. Der (fast) 13jährigen Tochter, die Klavier spielt und gern im Chor singt – privat, denn im kanadischen Schulsystem wird wie überall beim Musikunterricht gespart -, fühlt sie sich sehr verbunden, kommuniziert oft mit ihr über die großen Entfernungen hinweg, wobei die Tochter sie vermutlich weniger vermisst, als sie die Tochter, wie sie schmunzelnd meinte.
Den Dresdnern ist die Pieczonka in guter Erinnerung. 1994 sang sie zum ersten Mal an der Semperoper die Tatjana in „Eugen Onegin“, danach die Arabella und 2008 in einer grandiosen „Don-Carlo“-Besetzung, u. a. mit Georg Zeppenfeld, die Elisabetta.
Nach ihrer gefeierten „Tosca“ zu den Osterfestspielen in Salzburg und am Royal Opera House London (Live-Übertragung am 7.2.2018) singt sie diese Partie, die sie im Juni auch an der Berliner Staatsoper singen wird, nun an der Semperoper unter Christian Thielemann. Bereits die erste von vier Aufführungen, wo ihre Floria Tosca tief berührte, wurde von Publikum und Presse gleichermaßen begeistert aufgenommen. Ihr gefällt, dass Thielemann die Sänger mit dem Orchester „trägt“. Er nimmt das Orchester sehr zurück und lässt die Stimme im schönsten „Pianissimo“ klingen. Er ist kein Dogmatiker, sondern in angemessenem Rahmen auch variabel, denn manches ist von der Tagesform abhängig.
Jede Inszenierung der „Tosca“, in der sie jetzt singt, ist anders. Dass die Tosca am Ende „von der Engelsburg in den Tiber“ springen soll, was faktisch auch an Ort und Stelle in Rom unmöglich ist, da die Bauweise der Engelsburg das nicht gestattet und der Tiber in einiger Entfernung fließt (so genau nahm man das früher nicht), bereitet ihr auf der Bühne mitunter Probleme wegen – wie sie ehrlich zugab – „Arthrose im linken Knie“. In Dresden sind die Anforderungen für sie gerade noch machbar, in Berlin bleibt sie am Ende stehen und am Leben, und in Salzburg wird sie erschossen. So unterschiedlich sind die Regieeinfälle. Sie fühlt sich als Traditionalistin. „Ausgeflippte Inszenierungen“ mag sie nicht sonderlich. Augenzwinkernd meinte sie: in vielen ihrer Rollen wird sie ermordet, wie z. B. als Desdemona, als „Tosca“ wird sie selbst zur Mörderin, „eine ziemlich miese Geschichte“.
Von Dresden hatte sie zum ersten Mal in Wien gehört. Damals, Anfang der 90er Jahre, empfand sie die Stadt noch wenig einladend. Es waren „harte Zeiten“ – alles grau, die Frauenkirche noch eine große Baustelle – während sie sich jetzt hier wohl fühlt, „alles hell, schön und modern“.
Aufgewachsen in Burlington, einer mittleren Stadt in der Nähe von Toronto, wo es weder Oper noch Theater gab, wollte sie keine professionelle Opernsängerin werden. In ganz Kanada gibt es nur fünf Opernhäuser in den großen Städten -, wo italienische Oper, Mozart usw. gespielt wird, aber kein „Rosenkavalier“ (zu teuer) und kaum Wagner. In Kanada wird – wie überall – auch zuerst an der Kultur gespart. Sie sah sich als „Bühnentier“ oder Broadwaystar, erhielt Ballett-, Schauspiel- und Gesangsunterricht, wurde in Musical und Jazztanz ausgebildet, hat auch Klavier gespielt. Dann, mit 18 hat sie Feuer gefangen und auch Theorie gelernt, graduierte an der Opera School der Universität Toronto und widmete sich dem Gesang.
Der 35. Internationale Gesangswettbewerb von ’s-Hertogenbosch (Niederlande), den sie zusammen mit Ruth Ziesak gewann, „bescherte“ ihr viele Angebote und zahlreiche Einladungen zu Gastspielen, insbesondere nach Wien, 1989 an die Volksoper und 1991 an die Staatsoper. Obwohl sie nicht sehr freundlich, eher abweisend, empfangen wurde und sich allein fühlte, übersiedelte sie nach Wien und hat jetzt „Wiener Blut“.
Ihre erste Begegnung mit Thielemann fand in Bayreuth statt. Er begleitete sie am Klavier, als sie sich als Sieglinde bewarb, die sie dann zwei Jahre sang, aber sie meint, ihre Stimme sei nicht unbedingt für das dramatische Fach geeignet, obwohl eine Entwicklung immer in dieser Richtung gesehen wird. „Man muss nicht der Stimme schaden, sondern die Grenze beibehalten, nie die Stimme riskieren, sie immer in Kontrolle behalten. „Lucia Popp ist auch bei ihrem Fach geblieben“.
Sie singt jedes Fach und verfügt über ein breites Repertoire, denn sie ist sehr wandlungsfähig, mag aber besonders das italienische, deutsche und slawische Fach und singt nicht viel zeitgenössische Musik, was sie bedauert, aber „man kann nicht alles machen. Moderne Musik sollte nicht anders gesungen werden als Mozart, Bach, Strauss usw.“ Sie singt immer mit gleicher Technik – legato und lyrisch. Der Unterschied entsteht bei ihr durch die Sprache.
Sie spricht auch viele Sprachen von denen, die sie singt, denn Sänger lernen leicht, sie sind an das Lernen von Text gewöhnt. Ihre Sprachen sind Spanisch, Italienisch, Englisch, Deutsch, aber kein Russisch, was sie bedauert, und auch kein Polnisch, obwohl ihr Vater in Polen geboren ist. Er kam mit acht Jahren nach Kanada, wo er dann als Ingenieur tätig war, und zu Hause wurde nicht Polnisch gesprochen.
20 Jahre hat sie in Europa gelebt, viele Jahre davon in Wien, hat an vielen großen Häusern, an der MET, der Bayerischen Staatsoper und der Mailänder Scala gesungen, gastierte beim Glyndebourne Festival und den Salzburger Festspielen, aber in ihrem Privatleben ist sie keine Diva. Sie kommt mit sich selbst zurecht und ist auch gern allein. Jetzt lebt sie wieder in Kanada und ist dennoch auf den Opernbühnen Europas zuhause.
Ingrid Gerk