Budapest: Ungarische Staatsoper: 14.6.2025: „LA BAYADÈRE“. – klassische Balletttradition als beeindruckendes Balletterlebnis
Mit der Premiere von „A bajadér“ in der Ungarischen Staatsoper setzte das Ungarische Nationalballett unter der Leitung von Tamás Solymosi ein glanzvolles Highlight ans Saisonende: mit neun Aufführungen in fünf Besetzungsvarianten wird das Publikum ins exotische Indien entführt. Von Marius Petipa 1877 in St. Petersburg als vieraktiges Ballett uraufgeführt, ging der vierte Akt leider alsbald verloren. Außerhalb von Russland bzw. der Sowjetunion erst nach 1960 gezeigt, war zunächst oft nur der „Schattenakt“ zu sehen. Zu den bekanntesten Bearbeitungen in den vergangenen Jahrzehnten zählen wohl die Version von Natalia Makarova für das ABT (1980), die von Rudolf Nurejew für Paris (1992) und die von Patrice Bart für München (1998). Genannt sein soll hier auch die 1999 für Wien geschaffene Fassung von Vladimir Malakhov, der einen vierten Akt ergänzte. In Ungarn war ebenfalls zumeist der Schattenakt mehrfach aufgeführt, als abendfüllendes Ballett wurde „La Bayadère“ erstmals 2008 auf die Bühne gebracht.
Für die aktuelle Premiere von „La Bayadère“ schuf Balletmeister Albert Mirzoyan eine dreiaktige Version mit zwei Pausen dieses Klassikers der Balletttradition des 19. Jahrhunderts und gibt damit sein Debut als Choreograf eines großen Handlungsballetts. Nachdem Albert Mirzoyan seine Ausbildung an der Waganova Ballettakademie beendet hatte, war er 20 Jahre im damaligen Leningrad als Tänzer im Kirov Ballett engagiert (heute: Compagnie des Mariinsky Theaters in St.Petersburg) bzw. arbeitete dort nach Beendigung seiner Tänzerkarriere noch einige Jahre als Ballettinstruktor. Nach einigen anderen Stationen war er dann 12 Jahre lang Ballettmeister in Wien, bevor er 2020 der Einladung von Tamás Solymosi folgte, um als Ballettmeister im Ungarische Nationalballett in Budapest tätig zu sein. In detailreicher Rekonstruktion wird die Handlung von Albert Mirzoyan mit viel verständlicher Pantomime und anspruchsvoller Balletttechnik erzählt und in sorgfältiger Ergänzung das fehlende Ende dramaturgisch passend eingefügt. Die Komposition von Ludwig Minkus wurde mit Bearbeitungen aus seinem heutzutage in Vergessenheit geratenem Ballett „Nujt et Jour“ (1883) ergänzt, indem György Lázár (Head Répétiteur of the Hungarian National Ballet) eine orchestrale Fassung aus dem überlieferten Klavierauszug gestaltete. Auch einige weitere kleine Adaptierungen hat Albert Mirzoyan vorgenommen, so hat er z.B. ein Männer Duett im Pas d´action im 2. Akt eingefügt.
Das opulente Bühnenbild stammt von István Rósza, die farbenprächtigen Kostüme designte Nóra Rományi und für das Lightsetting war Tamás Pillinger zuständig. Zum Libretto von Marius Petipa ergänzte hier Szergej Hugyelkov das dramaturgische Bühnengeschehen.
Nikiya (Tatyjana Melnyik) und Solor (Louis Scrivener) ©Valter Berecz / Hungarian State Opera
Der Krieger Solor liebt die Tempeltänzerin Nikiya, soll aber Gamzatti, die Tochter des Radschas Dugmanta heiraten. Der Großbrahmane hat aber ebenfalls ein Auge auf die schöne Nikiya geworfen, die seine Annäherung aber entschieden zurückweist, weil ihre Zuneigung nur Solor gilt. Die eifersüchtige Gamzatti bietet Nikiya Juwelen an, damit sie auf Solor verzichtet, was diese jedoch strikt ablehnt. Gamzatti erkennt, dass sie Solor nur für sich gewinnen kann, wenn Nikiya stirbt. Die Bayadère soll daher auf dem Fest anlässlich der bevorstehenden Vermählung der Radschatochter im Palast tanzen. Als Nikiya von einer im Blumenkörbchen versteckten Schlange gebissen wird, verweigert sie das rettende Gegengift, das ihr der Großbrahmane reicht. Nikiya stirbt, Solor bricht über ihrem toten Körper verzweifelt zusammen. Der Fakir Magdaveya bringt Solor eine Opiumpfeife und im Traum sieht sich Solor mit Nikiya vereint. Als er nach seinem Erwachen zur Hochzeit mit Gamzatti geholt wird, erscheint ihm Nikiya als nur für ihn sichtbare Vision. Der Großbrahmane segnet das Hochzeitspaar, aber Gott Vishnu zürnt, der Tempel stürzt zusammen und Solor ist in der Ewigkeit mit Nikiya vereint.
Maria Beck als Gamzatti ©Valter Berecz / Hungarian State Opera
Tatyjana Melnyik verkörpert die Tempeltänzerin Nikiya mit exquisiter Technik tanzend und ausdrucksstark in ihrer unerschütterlichen Liebe zu Solor. Als zarte Bayadère ist sie vor allem im Schattenakt eine fragile überirdische Erscheinung.
Als ihre Gegenspielerin gelingt es Maria Beck glaubhaft als hoheitsvolle, energische und von Eifersucht in ihrem Tun getriebene Gamzatti ihren Willen durchzusetzen, um Solor für sich alleine zu haben, selbst um den Preis von Nikiyas Tod.
Durch den verletzungsbedingten Ausfall eines Kollegen kurzfristig eingesprungen, hat sich Louis Scrivener die Rolle des Solor innerhalb kürzester Zeit erarbeitet und brilliert mit schöner Linie, hohen Sprüngen und feinem Partnering. Als edler Krieger Solor steht er zwischen diesen beiden Frauenfiguren: sein Herz gehört Nikiya, aber letztendlich beugt er sich der Bestimmung des Radscha, die die Verheiratung mit Gamzatti verlangt.
Als Goldenes Idol reüssiert Motomi Kiyota souverän mit seiner enormen Sprungkraft. Maxim Kovtun ist der Solor treu ergebene Fakir Magdaveya. Mikalai Radziush überzeugt als Großbrahmane, agiert er doch glaubhaft, indem er in seinem Inneren aufgewühlt von den eigenen Gefühlen für Nikiya ist, sich dennoch nach außen hin mit würdevoller Präsenz gibt. Lieblich anzusehen war Stefanida Ovcharenko mit dem Manu-Tanz.
Das stilvoll-elegante Corps de ballet im Schattenakt ©Valter Berecz / Hungarian State Opera
Ganz besonders erwähnenswert ist hier das formidable Corps de ballet bei all seinen Auftritten, aber ganz besonders im Schattenakt, wenn die 32 Tänzerinnen über vier schräge Rampen mit perfekten Arabesque penchée hinunter schreiten, um auf der Bühne in absoluter Synchronität ihren Tanz fortzusetzen. Linien, Formationen, alles perfekt und wunderbar anzusehen. Auch die drei Soloschatten Yuki Wakabayashi, Elena Sharipova und Anastasiia Konstantinova präsentieren sich in technischer Perfektion.
Das großartig spielende Orchester unter der sorgsamen Leitung von Peter Dobszay bot den musikalischen Rahmen für diesen außergewöhnlichen Ballettabend. Viel Beifall vom begeisterten Publikum!
Ira Werbowsky