Wiener Philharmoniker in der Waldbühne Berlin via 3sat am 25.Mai 2024
Feuer und Grandezza
Die Wiener Philharmoniker musizierten in der Waldbühne am 25.5.2024 via 3sat/BERLIN Es war eine besondere Premiere – zum ersten Mal musizierten die Wiener Philharmoniker unter der präzisen Leitung von Riccardo Muti in der Waldbühne Berlin. Gleich bei der Ouvertüre zu Giuseppe Verdis Oper „Die Macht des Schicksals“ imponierte der überzeugend betonte Reichtum der Stimmungen, Farben und Empfindungen. Einige Hauptmotive der Oper erstrahlten hier in großem Glanz – vor allem Leonoras leidenschaftliches Schicksalsmotiv. Dann gab es als besonderen Leckerbissen aus Spaniens Manuel de Fallas „Dreispitz“ zu hören, wo der elektrisierende Glanz auf das gesamte Orchester überging. De Falla schrieb dieses Werk im Jahre 1919 für das Russische Ballett. Der lyrische „Tanz des Müllers“ sowie der Schlusstanz begeisterten hier mit aufpeitschend-wilden Rhythmen, zündenden Melodien und einem schillernden Orchestergewand. Von Emmanuel Chabrier erklang dann „Espana“, das als ungemein spritziges Bravourstück mit pittoresken Episoden und rhythmischen Feinheiten faszinierte. Ein weiteres Glanzstück waren die „Ungarischen Tänze“ von Johannes Brahms, wo das urtümliche Melos nicht nur beim vierten Ungarischen Tanz hell aufblitzte. Zigeunerische Melodien und die schnellen Rhythmen des Csardas bannten die Zuhörer aufgrund der meisterhaften Musizierweise. Der „Slawische Tanz“ von Antonin Dvorak besaß zwar eine gewisse Brahms-Nähe, gewann aber mit seinen Assoziationen zu böhmischen Tänzen sowie zu Polka und Furiant starkes Profil. Auch bei der „Morgenstimmung“ aus Edvard Griegs erster „Peer Gynt“-Suite waren die Wiener Philharmoniker unter Riccardo Muti voll in ihrem Element. Flöte und Oboe beschrieben abwechselnd das klangfarbenreiche pastorale Thema, das die Atmosphäre des Gebirges in bewegender Weise beschrieb. Höhepunkt dieses umjubelten Berliner Gastspiels war aber die grandiose Interpretation von Ottorino Respighis „Pini di Roma“ („Römische Pinien“) aus dem Jahre 1924, wo der Komponist Stimmungen und Gefühle mit ungeheurem Klangaufgebot schildert. Das Vorbild der „Brunnen“ ist hier unverkennbar, wird aber an Orchesterpracht weit übertrumpft. In heller Nachmittagssonne blickten die Pinien der Villa Borghese herab auf das laute Spiel der Kinder. Da ertönten die tänzelnden Kindermelodien des Ringelreihens oder die kriegerischen „Militärmärsche“ der Buben. Zwischen übermütigem Gekreisch erschallte außerdem das Signal einer Kindertrompete. Unvermittelt riss das Spiel ab – man befand sich im Abendschatten bei einer Katakombe. Aus dem Grabgewölbe wehte der Hauch des Todes. Ein tiefer Streicherakkord tauchte orgelähnlich aus dem Nebel hervor. Eine feierliche Hymne folgte. Aus der Ferne tönte eine Trompetenmelodie in entrückter Stimmung, dann antwortete aus der Tiefe mit Glockenklang und Paukenwirbel eine flehend-psalmodierende Weise, die als Phrase immer drängender anschwoll, was die Wiener Philharmoniker unter Muti sehr gut herausarbeiteten. Der betörende Zauber einer Vollmondnacht auf dem Janiculum hüllte dann die Pinien geheimnisvoll ein, duftende Orchesterfarben und träumerische Melodiegebilde verbanden sich mit höchster Intensität. Neben einer leise schillernden Klavierkadenz meldete sich traumverloren der Klang einer Klarinette. In der Oboe und in den Geigen vernahm man suggestiv den Gesang der Nachtigall. Der bleiche Morgennebel ließ plötzlich die gewaltige Via Appia erkennen, der Marschritt römischer Legionen kam immer näher. Ihre schmetternden Buccinen waren zu hören, die zündenden Rhythmen rissen die Zuhörer ganz unmittelbar mit. Ein phänomenaler Blechbläsereinsatz beschloss in grandioser Weise diesen Satz. Das einzige große Crescendo verfehlte seine Wirkung nicht. Langsame, aber nicht schleppende Tempi unterstrichen dieses pompöse Tongebilde. Der „Kaiserwalzer“ von Johann Strauß wurde schließlich ebenfalls in vielschichtigen Klangfarben höchst stimmungsvoll dargeboten. Zuletzt spielten die Wiener Philharmoniker unter Muti noch die „Europahymne“ im Arrangement von Herbert von Karajan nach der „Ode an die Freude“ aus Ludwig van Beethovens neunter Sinfonie. Riesenjubel in der Waldbühne.
Alexander Walther