WIEN / Staatsoper: LOHENGRIN – Premiere der Koproduktion mit den Salzburger Pfingstfestspielen
29. April 2024 – Premiere
Von Manfred A. Schmid
Zehn Jahre lang schon fragten sich immer mehr Opernbesucher der Ärgernis erregenden, alpenländlerischen Musikantenstadel-Inszenierung von Andreas Homoki am Ende der Vorstellung: Wann kommt der nächste Schwan? – Jetzt ist es endlich soweit. Da dieser Schwan aber nicht neu ist, sondern als Koproduktion schon 2022 bei den Salzburger Pfingstfestspielen zu erleben war und dort, was die Inszenierung betrifft, gar nicht gut aufgenommen wurde, waren die Erwartungen für die Wiener Premiere mehr als gedämpft. Das eine Zeitlang hoch gehandelte Team Jossi Wieler/Sergio Morabito ist, seit es sich mit der Ausstatterin Anna Viebrock in ein Trio gewandelt hat, kaum mehr mit stimmig durchdachten exemplarischen Produktionen aufgefallen. An der Wiener Staatsoper hat sich zuletzt ihre Inszenierung von Monteverdis Il ritorno d’Ulisse in patria rettungslos in Viebrocks Bühne verlaufen. Bekanntlich hat der heldenhafte Ulisses auf seiner jahrlangen Heimreise viele Hemmnisse zu überwinden, aber dass er aus dem an einen Dschungel erinnernden Caritas-Möbeldepot im letzten Akt schließlich doch noch herausfinden kann, grenzte tatsachlich an ein Wunder.
Von der Staatsoper, an der Morabito als Chefdramaturg wirkt, wird dieser Lohengrin als spannungsgeladener Krimi angepriesen. Man sieht Elsa, noch während des wunderbar zarten, von Sphärenklängen durchfluteten Vorspiels, wie sie ihren Bruder Gottfried zurück ins Wasser stößt. Ein klassischer Fall von Brudermord. Beobachtet wird sie dabei von Ortrud, die den Vorfall dazu nützen wird, um ihre Rivalin zu entlarven und ihren Mann Telramund zum Herrscher von Brabant zu machen, stammt sie doch selbst von den früheren Machthabern ab. So weit, so gut und auch nicht mehr ganz neu. In weiterer Folge aber gibt es – außer dem als Gottesurteil geltenden Duell Lohengrins mit Telramund, bei dem sein Gegner allerdings nicht von ihm getroffen zu Boden sinkt, sondern wohl so etwas wie einen Herzinfarkt erleidet – kein Beweisverfahren. Am Schluss ersticht der wieder leibhaftig aus dem Wasser aufgetauchte Gottfried seine Schwester. Das muss also genügen, um Elsas Schuldhaftigkeit zu bestätigen. Warum die erlauchte Gralsritterschaft ausgerechnet zur Rettung einer Mörderin ihren Repräsentanten Lohengrin auf einem Schwan, der noch dazu auf wundersame Weise der Bruder sein soll, nach Brabant schicken sollte, und wer dann das Wunder bewirkt, dass Gottfried von einem Schwan, den man in dieser Inszenierung allerdings nicht zu sehen bekommt, wieder zu einem Menschen wird, bleibt unbeantwortet. Dass dahinter die von Ortrud angerufenen alten Götter, Wodan und Freia, stehen sollten und dass es ihnen dabei gelingen müsste, auch die Gralsritterschaft für ihre Pläne zu instrumentalisieren, wäre eine mehr als absurde Annahme.
Neben dieser vertrackten religiösen Ebene und dem psychologischen Krieg rund um das Streben nach Macht wird in dieser Inszenierung noch ein weiteres Problemfeld thematisiert. Es geht auch um einen gewaltbereiten Polizeistaat, der das Volk einschüchtert und mittels Schauprozessen manipuliert. Die Kostüme, ebenfalls von Viebrock, vor allem die Uniformen der bis an die Zähne bewaffneten Soldaten, changieren zwischen dem 1. und de 2. Weltkrieg. Am Schluss stehen die Bataillone bereit für den nächsten Einsatz, bei dem sie aber nicht mehr von Lohengrin, sondern von Gottfried angeführt werden. Auch dieser Interpretation konnte man schon oft auf der Bühne sehen. Diesmal hat es eher den Anschein, dass das leading team sich nicht sicher war, ob das Krimi-Konzept tragfähig genug sein könnte, oder sich einfach nicht für nur eine Variante entschieden konnte. So wirkt die Handlung auf der ästhetisch völlig reizlosen Bühne, die eine nüchterne Hafengegend darstellt, jedenfalls ziemlich überfrachtet. Grotesk auch, dass die Hauptakteure bei der Zusammenkunft mit dem König über Absperrungen klettern müssen, Elsa inbegriffen. Sportlich, gewiss. Aber sinnvoll?
Wenn hier aber etwas spannend ist, dann ist das allein dem Schöpfer Richard Wagner, seinem Libretto und seiner Musik zuzuschreiben und nicht dem leading team. Ganz in Gegenteil, das Original erweist sich als so stark, dass es diese lästigen Eingriffe spielend vergessen macht. Und mit Christian Thielemann hat die Staatsoper gewiss den derzeit besten Wagner-Dirigenten bestellt. Er und das vorzügliche Staatsopernorchester, in weiterer Folge auch der um den Extrachor und die Chorakademie erweiterte Staatsopernchor sind die grandiosen Säulen dieses Opernabends, der aus der Premiere ein musikalisches Ereignis der Extraklasse macht. Die romantische Fülle der Partitur wird so zu blühendem Leben erweckt und erklingt in all den Schattierungen und Farben, von denen einst schon Friedrich Nietzsche geschwärmt hat: „Im Lohengrin giebt es viele blaue Musik. Wagner kennt die opiatischen und narkotischen Wirkungen und braucht sie gegen die ihm gut bewußte nervöse Zerfahrenheit seiner musikalischen Erfindungskraft.“
Thielmann hat ein feines Gespür für die Leistungsfähigkeit der Stimmen auf der Bühne und deckt sie nie zu, was diesmal besonders wichtig ist. Denn die Besetzung ist leider alles andere als überragend. Georg Zeppenfeld, als Gurnemanz ein geschätzter, verlässlicher Wagner-Sänger, fehlt es für die Rolle des Heinrich der Vogler an der erforderlichen Autorität ausstrahlenden Bühnenpräsenz. Zu unauffällig seine Auftritte auf der meist stark bevölkerten Bühne. Zu unauffällig leider auch stimmlich, so dass er sich von seinem ihm untergebenem Heerrufer rangmäßig zu wenig abhebt, der von Attila Mokus (zum Glück) nur solide und unspektakulär dargeboten wird. Mit dem zuletzt mit dieser Rolle besetzten Christian Unterreiner hätte es Zeppenfeld jedenfalls bedeutend schwerer gehabt, sich durchzusetzen.
Der britische Sänger David Butt Philip, an der Staatsoper u.a. schon als Don José und Apollo in Daphne zu erleben, kann in der Titelrolle mit jugendlicher Frische und einem silberhellen Tenor aufwarten, wirkt darstellerisch diesmal aber etwas linkisch, was aber vermutlich der Regie zuzuschreiben ist, die dieser Figur nichts Heldisches zugestehen will. Der Gralserzählung mangelt es an Spannung. Am besten ist er in der Liebesszene mit Elsa am Beginn des 3. Aufzugs, die auch Malin Byström die Gelegenheit gibt, ihren Sopran mit emotionaler Farbigkeit erklingen zu lassen. Für eine überzeugende Elsa langt es aber auch darstellerisch noch nicht ganz. Wer diese Elsa ist und was sie will, wird nicht klar. Denn wenn sie tatsächlich ihren Bruder wegen Machtstrebens umgebracht hätte, dann müsste man von diesem politischen Ehrgeiz mehr zu sehen bekommen. Davon ist aber kein Fünkchen auszmachen.
Anja Kampes Ortrud hingegen ist – dank ihrer großen Erfahrung, eminenter Bühnenpräsenz und einer ausdrucksstarken Stimme – die weitaus stärkste Erscheinung in dieser Premierenvorstellung. Wie sie, als gesellschaftlich an den Rand gedrängte und dennoch stolze und ungebrochene Frau um ihre Rehabilitierung und Anerkennung kämpft und dabei ihre Psychotricks erfolgreich einsetzt, ist großartig und lässt einige Schärfen in ihrer Stimme rasch vergessen. Friedrich von Telramund, der Mann an ihrer Seite, in einer toxischen Beziehung, die an die von Macbeth und Lady Macbeth erinnert, wird von Martin Gantner darstellerisch ausgezeichnet dargestellt. Seinem angenehm timbrierten Bariton würde aber etwas mehr Durchschlagskraft nicht schaden.
Musikalisch wird die Aufführung zu Recht stürmisch gefeiert, vor allem der Dirigent Thielmann, der den größten Applaus einheimst, aber auch den Sängerinnen und Sänger werden gebührend und durchaus abgestuft Beifall gezollt. Das für die Inszenierung verantwortliche Team wird mit Buhs abgestraft. Nicht allzu heftig, und das ist gut so: Man sollte Ihnen nicht zu viel Beachtung schenken. Sie verdienen sie nicht.