GARS AM KAMP / Burgruine: CARMEN – Premiere
14. Juli 2022
Manfred A. Schmid
Es muss nicht immer die Championsleague sein, auch ein Waldviertler Regionalligaspiel hat seine Reize. Nach zwei Corona-bedingten Jahren des Wartens ist es endlich so weit: Carmen-Premiere vor und in der bezaubernden Burgruine von Gars. Das Programmheft nennt zwar Verantwortliche für Bühneninstallation, Bühnenbild und Bühnentechnik, in Erinnerung bleibt aber meist doch nur die einzigartige Naturkulisse mit der davor angebrachten ovalen Bühnenplattform. Mehr braucht es im Grunde – abgesehen von ein paar Requisiten und passenden Kostümen, die diesmal von Gerlinde Höglhammer stammen – auch gar nicht. Bühnen- und ausstattungsmäßig ist die Oper Burg Gars nämlich ein später Nachhall der Arte Povera. Da sind kreative Lösungen besonders gefragt. Das betrifft vor allem Regie und die Personenführung, denn die auch musikalisch sehr schwierigen Chorszenen überforderten schon bei der Pariser Uraufführung die bühnentechnischen Möglichkeiten der Opéra Comique. Diese Hürde wird von Regisseur Dominik Wilgenbusch souverän gemeistert. Und das, obwohl die damaligen technischen Möglichkeiten die heute in Gars vorhandenen vermutlich doch übertroffen hätten. Der Chor der Oper Burg Gars ist jedenfalls bestens integriert und macht, einstudiert von David Ricardo Salazar, seine Sache zufriedenstellend gut.
Weniger überzeugend ist das Regiekonzept von Wilgenbusch, durch von ihm eingeführte Zeugenaussagen von direkt Beteiligten und auf der Grundlage von Einschätzungen von Personen, die das das in einem Mord mündende Beziehungsdrama zwischen Don José und der freiheitsliebenden Carmen kommentieren, die Oper quasi als Beweisführung für einen juristische Urteilsfindung durch das Publikum ablaufen zu lassen. Dafür ist der Fall zu klar. Bizets Carmen, nach der gleichnamigen Novelle von Prosper Mérimée, ist eben kein Stück von Ferdinand von Schirach. Die Schuldfrage ist eindeutig zu beantworten. Dieser Versuch einer Einbindung der Zuschauer in einen Gerichtsprozess muss daher von Vornherein scheitern. Es geht höchstens noch um die Findung mildernder Umstände.
Ansonsten aber wird in Gars die Handlung nachvollziehbar vorgeführt, und es gibt sogar einige nette Abweichungen vom Gewohnten, die man gerne und schmunzelnd zur Kenntnis nimmt. Wenn etwa der Sergeant Morales (Wolfgang Resch) ein paar Buben im Alter zwischen sechs und zwölf Jahren antreten lässt und herumkommandiert. Nun sind Kindersoldaten an sich keine lustige Angelegenheit, hier aber ist von Anfang an klar, dass es sich nur um Spaß und Spiel handelt.
Das Orchester unter der Leitung von Intendant Johannes Wildner klingt diesmal dünner als es ein Blick auf die Besetzungsliste erwarten lassen würde. Bizets exotisierende Anklänge an die spanische Folklore werden dennoch fein herausgearbeitet.
Gesanglich erweist sich das Ensemble zu unausgewogen. Die eindeutig eindrucksvollste Leistung liefert Corina Koller als Micaela ab. Ihr lyrischer, ausdrucksstarker Sopran drückt ihre Sorge um das Schicksal des von ihr geliebten Don José glaubwürdig aus. Ihr letzter Versuch am Ende des 3. Akts, ihn umzustimmen und aus seiner fatalen Lage zu erretten, berührt ungemein.
Oscar Marin ist an diesem Premierenabend offensichtlich nicht in bester stimmlicher Verfassung angetreten. Zu Beginn klingt sein Tenor zu eng, um frei strömen zu können. Im ersten Duett mit Micaela muss bei den gar nicht so extrem hohen Tönen in der Kopfstimme Zuflucht finden, was selbst erfahrene Kenner wohl noch nie so erlebt haben dürften. Er verbessert sich allmählich von Akte zu Akt, doch für eine überzeugende Blumenarie reicht es dann doch noch nicht. Erst in der letzten Auseinandersetzung im erregenden Finale scheint der Spanier seiner Bestform wenigstens in die Nähe gekommen zu sein. Darstellerisch kann der sympathische Sänger, der als Cavaradossi in bester Erinnerung ist, allerdings einiges wettmachen.
Zufrieden sein kann man mit Neven Crinic als Escamillo. Der Bassbariton verleiht dem Torero das ihm zustehende selbstbewusste Gehabe und singt seine berühmte Auftrittsarie einwandfrei.
Sobald Ljubica Vranes die Bühne betritt, meint man, so müsse eine Carmen aussehen und sich in Szene setzen. Die schnippische, sinnliche Ausstrahlung kommt dem Idealbild der heißblütigen, leidenschaftlichen, auf alle Konventionen pfeifenden Frau sehr nahe. Allerdings muss die Partie der Carmen auch rollengerecht gesungen werden. Sobald Vranes aber den Mund aufmacht, kommt die Ernüchterung. Diesem Mezzosopran fehlt es völlig an Tiefe, und die ist für die Carmen, etwa in der „Seguidilla“, unentbehrlich. Auch die Mittellage lässt zu wünschen übrig. Das „Tralalalala“ wird lieblos heruntergerattert, da steckt keine Substanz, kein Kern, keine Energie dahinter. Nur in der Höhenlage wird diese Sängerin ihrer Rolle einigermaßen gerecht. Zu hoffen ist, dass alle genannten Mängel nur der Tagesverfassung zuzuschreiben sind.
Erfreulich hingegen, darstellerisch wie auch gesanglich, bewähren sich Tina Drole und Claudia Goebl als Mercédès und Frasquita. Ob sie nun solistisch, im Duett oder im Terzett mit der Carmen auftreten, ist es eine Freude, ihn zuzusehen und zuzuhören.
Rollendeckend zum Einsatz kommen Krzysztof Borysiewicz als Don Josés Vorgesetzter Zuniga, sowie Thomas Essl und Ian Spinetti als Schmugglerpaar Dancairo und Remendo.
Glück hat die Aufführung mit dem Wetter. Kurz nach Beginn des 3. Akts gibt es dicke Regentropfen, viele Zuschauer flüchten unter die Tribüne, Regenumhänge werden ausgeteilt. Nach wenigen Minuten ist es vorbei und die Vorstellung kann ungestört bis zum Ende weitergeführt werden. Die Tagesverfassung mancher Beteiligter lässt bei der Premiere aber zu wünschen übrig. Da ist noch viel Luft nach oben, und es bleibt die Hoffnung, dass hier eine Steigerung möglich ist. Der Beifall hört sich dennoch sehr munter und zufrieden an. Das Waldviertler Opernfestival feiert seine Auferstehung.