3-CD-Kollektion mit dem Cellisten Paul Tortelier bei audite erschienen/
MEISTER DER CHARAKTERISIERUNGSKUNST
Torteliers Abschied von Berlin fiel in eine Zeit des Mauerfalls. Bei seinem letzten Auftritt in Berlin 1989 sang er ein selbst komponiertes Lied als Zugabe und begleitete sich dazu auf dem Violoncello: „May music save peace“. Begleitet wurde der französische Meistercellist dabei auch von seinem russischen Kollegen Mstislaw Rostropowitsch. 1932 nahm er eine Stelle als stellvertretender erster Cellist des Pariser Orchestre Radio-Symphonique an. 1935 wurde Tortelier Solocellist in Monte Carlo, 1937 in Boston. Nach seiner Heirat mit der Cellistin Maud Martin startete Tortelier 1947 eine ausgedehnte Reisetätigkeit. Und 1950, anlässlich der Feierlichkeiten zum 200. Geburtstag von Johann Sebastian Bach, lernte er in Südfrankreich Pablo Casals kennen, mit dem er gemeinsam musizierte.
Dass Paul Tortelier ein sehr vielseitiger Mensch und Künstler war, wird auf diesen CDs deutlich. Insbesondere die Aufnahme der Cellosuite Nr. 6 BWV 1012 von Johann Sebastian Bach fällt hier besonders positiv auf. Die Legato-Bindung und das unaufhaltsame Strömen dieser Musik fesseln den Zuhörer ungemein. Die rhythmischen Finessen des Grundtempos bleiben hier stets gewahrt. Die Bariolage-Passage des Satzes sticht präzis hervor. Tortelier wagt auch immer wieder besonders langsame Tempi. Trotz Vibrato, Rubato und Accelerando dominiert dabei der natürliche Fluss des Klangbildes. Der impressionistische Zauber von Gabriel Faures „Papillon“ op. 77 ist ebenfalls von bestrickender Wirkungskraft (Klavierbegleitung: Lothar Broddack). Assoziationen zu Johann Sebastian Bach weckt ferner die fulminant interpretierte Sonate für Cello solo op. 8 von Zoltan Kodaly, wo die klassisch-rhapsodischen Formen in raffinierter Weise aufgelockert werden. Die melodische und rhythmische Kraft arbeitet Paul Tortelier hier minuziös heraus. Magische Klangwirkungen sind die Folge. Sehr reizvoll wirkt außerdem die Wiedergabe von Alfredo Casellas Cellosonate in C-Dur (Klavierbegleitung: Lothar Broddack), wo die thematischen Verbindungslinien facettenreich hervorstechen. Reminiszenzen an Strawinsky verbinden sich dabei mit einem geradezu neoklassizistischen Stil mit asketischer Melodik, vereinfachter und polytonaler Harmonik und tänzerischer Rhythmik. Ein weiterer Höhepunkt sind Introduktion und Variation von „Dal tuo stellato soglio“ aus Rossinis „Moses in Egypt“ („Mose-Fantasia“) von Niccolo Paganini und Luigi Silva. Zusammen mit Lothar Broddak gelingen Paul Tortelier hier eindringliche Miniaturen und virtuose Kabinettstücke. Sehr viel poetischer ist dann die Einspielung von Robert Schumanns Fantasiestücken in a-Moll op. 73 (Klavierbegleitung: Klaus Billing). Der pausenlose Übergang der einzelnen Sätze gewinnt dabei eine ungeahnte Intensität. Torteliers eigene Komposition „Trois p’tits tours“ überzeugt ebenfalls aufgrund ihrer erfrischenden Virtuosität. Er erweist sich bei den Stücken „Lever de Rideau“ (Gavotte), „Ballerine“ (Valse) und „Le Pitre“ (Burlesque) als Meister der Charakterisierungskunst. Legato, Pizzicato, Triller und Staccato gewinnen bei ihm elektrisierende Akzente. Und auch die chromatischen Arabesken am Schluss lassen aufhorchen. Da lebt die barocke Kompositionskunst in ganz ungewöhnlicher Form plötzlich wieder auf. Interessant ist übrigens, dass Paul Tortelier im Jahre 1956 auch eine „Symphonie Israelienne“ komponiert hat. Die vorliegenden Aufnahmen sind in den Jahren 1949 bis 1964 im Deutschlandradio entstanden (eine Aufnahme von RIAS Berlin, Deutschlandfunk Kultur).
Alexander Walther