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CD ONDREJ ADAMEK „Follow me“, „Where are you?“ – Uraufführungen -. Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, Magdalena Kožená Mezzosopran, Isabelle Faust Violine; BR Klassik

12.01.2022 | cd

CD ONDREJ ADAMEK „Follow me“, „Where are you?“ – Uraufführungen -. Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, Magdalena Kožená Mezzosopran, Isabelle Faust Violine; BR Klassik

Wo ist Gott? Elf Orchesterlieder markieren die Wege seiner Suche

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Veröffentlichung 21.2.2022

Der tschechische Komponist und Dirigent Ondřej Adámek schreibt für Orchester, – Vokal- und Instrumentalmusik als auch elektroakustische Werke. Eine besondere Nähe verbindet ihn mit dem zeitgenössischen Tanz. 2010 kam Adámek mit dem Deutschen Akademischen Austauschdienst nach Berlin. Da lebt er noch heute. Zwischendurch war Adámek auch Stipendiat der Académie de France in der Villa Medici in Rom. Mit seinem 2018 gegründeten Vokalensemble N.E.S.E.V.E.N. (Never Ending Searching for Exact Vocal Expression and Nuances) lotet er die Möglichkeiten von Stimme und Ausdruck aus. Die sechs Vokalvirtuosen (3 Frauen, 3 Männer) mischen vokal Lyrisches und Sprechgesang etwa mit madegassischen, korsischen oder koreanischen Pansori-Elementen und suchen idZ nach passenden Bewegungen, einer idiomatischen Gestik.

Auf dem vorliegenden Album hören wir zuerst das dreisätzige Konzert für Violine und Orchester „Follow me“. Das Stück ist als Concerto zwischen einem idolisierten Meinungsbilder (Geige) als Rattenfängers und seinen tumben “Followern“ konzipiert. Wir erinnern uns an soziale Medien, wo Fans ihren Gurus mit einem Hang zur Sucht und Neuem stets auf der Ferse sind.

In der Gruppe beginnen einige seine Darbietungen zu wiederholen, bis alle (=das Orchesterkollektiv) Lemmingen gleich folgen. Diese Übung geht nicht ohne Jux und Verzerrungen ab, bis sich die Anhänger fadisiert abwenden und den Leader mit seinem eigenen Nonsens überwältigen. Dieser nach und nach verbeult und manieriert klingende Dialog folgt der Logik responsorialer Gesänge. Adámek verfährt nach dem Prinzip des Hoquetus mit seinem virtuos expressiven Charakter samt starken rhythmischen Elementen. Bei dieser Technik zerstückeln zwei Stimmen, also Solistin und Orchester, Note für Note einer Melodie. Das heißt, sie wechseln sich im raschen Tempo miteinander ab, sodass eine singt bzw. spielt, während der andere pausiert.

Adamék verarbeitet im zweiten und dritten Satz melodische Elemente von Johann Sebastian Bach, wobei die Noten in der Zeit gedehnt erklingen bzw. mit geänderten Intervallen aufgenommen werden, sei es komprimiert oder wiederum in die Länge gezogen. „Im Schlussteil wird die Solistin von ihrer Position vertrieben. Sie entfernt sich und spielt hinter der Bühne. Die letzten Worte der zornigen Anhänger arten in Gebrüll aus, sie Solistin wird ‚symbolisch‘ hingerichtet“, so Adámek aus eigener Sicht über das Ende des Konzerts.

Im 2020 entstandenen, elfsätzigen Zyklus an Orchesterliedern „Where are you“ für Mezzosopran und Orchester begibt sich der Komponist und sein Publikum auf die Reise durch Gemütslagen und Glaubensrichtungen. „Das Stück fragt nach dem Ort des Göttlichen, kann ihn aber nicht finden.“ Texte aus verschiedenen Kulturen, Religionen, Sprachen (Englisch, Spanisch, Sanskrit, Aramäisch und Tschechisch) und Jahrhunderten werden in diesem „Magdalena, Simon und Iris“ zugeeigneten Werk miteinander kombiniert. Nicht schwer zu erraten ist, welche Familiennamen zu den zwei ersten Widmungs-Vornamen, passen, wenn man sich die am Live-Konzert beteiligten Künstler ansieht.

Simon Rattle dirigiert bei diesem Auftragswerk des London Symphony Orchestra das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, seine Frau Magdalena Kožená ist die virtuose Vokalsolistin. Aufgrund der Covid19-Regeln erfolgte die Uraufführung am 6.3.2021 in der Philharmonie am Gasteig in reduzierter Streicherbesetzung (6-6-4-4-3). Auf die großen Fragen „Gibt es einen Gott oder sind wir allein im Universum? Und wenn es einen Gott gibt: Wo ist er?“ gibt es natürlich keine einfachen Antworten, alle angeschnittenen Texte und Annäherungen basieren auf persönlichen Erfahrungen des Komponisten.

Besonders das Violinkonzert ist mit all den Glissandi in hoher Lage, wild auf- und abschmierenden Streicherfiguren, dem harten Einsatz des Schlagzeugs, grosso modo mit seinem auf Alarm und grelle Farben abzielenden Klangbild sicher nichts für zarte Gemüter ohne hinreichende Hör-Erfahrung im zeitgenössischen Musikschaffen. Aber auch das metaphysisch geprägte „Where are you“ setzt mit den vielen Dissonanzen eine profunde Hörarbeit voraus. Alles in allem überwiegt bei aller Kunstfertigkeit der Partitur die bisweilen gewollt wirkende intellektuelle Geste vor einer sinnlichen anregenden Klangerfahrung. Die verzerrt folkloristischen Einschübe, die exotischen Melismen der Singstimme als kurze Haltepunkte verstärken noch den gehetzten Eindruck der lauernd gefahrvollen musikalischen Reise. Ich kann mir jedoch vorstellen, dass vor allem der „Liederzyklus“ im geräuschreichen, atemlosen Sprechgesangsmodus live im Konzertsaal faszinierender rüberkommt als auf CD. 

Dr. Ingobert Waltenberger

 

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