Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

LIVORNO/ TERRAZZA MASCAGNI: MASCAGNI FESTIVAL 2021

01.09.2021 | Konzert/Liederabende

LIVORNO/ TERRAZZA MASCAGNI: MASCAGNI FESTIVAL 2021

am 3., 4.und 5.8.2021

Festival Mascagni 2021. La nuova edizione dedicata alla “musica, le donne e  il mare” | Città di Livorno

Pietro Mascagni ist ja immerhin (zumindest, was die „Cavalleria Rusticana“ anlangt) einer der berühmtesten Komponisten der Welt. Dennoch hat ihm seine Geburtsstadt Livorno seit seinem Tod  im Jahre 1945 eigentlich nur die kalte Schulter gezeigt. Das Teatro Goldoni nahm sich zwar in verdienstvoller Weise immer wieder seiner rareren Opern an (Gugliemo Ratcliff, Iris, etc…), aber ansonsten Fehlanzeige: kein Festival, keine Gedenkstätte, kein Museum, nix.

fullsizerender
Terrazza Mascagni. Foto: Robert Quitta

Woran das gelegen haben mag? Nun, an der Politik natürlich. Livorno gilt als eine der „rötesten“ Städte Italiens, nicht von ungefähr wurde hier vor 100 Jahren die Kommunistische Partei Italiens gegründet. Mascagni hingegen liess es zu, dass sich der Duce mit seinem Weltruhm schmückte (und profitierte auch finanziell nicht unbeträchtlich von dieser Nähe). Also wollte nach dem Krieg das „rote“ Livorno mit seinem „schwarzen“ Komponisten möglichst wenig zu tun haben. Mit der Zeit wächst aber Gras über so vieles, und so gibt es auch seit letztem Jahr in der toskanischen Hafenstadt endlich ein MASCAGNI FESTIVAL, das vom Tenor Marco Voleri künstlerisch geleitet wird.

Die drei Vorstellungen, die wir sehen konnten, fanden alle auf der Terrazza Mascagni (immerhin !) statt, einer wunderschönen, weitläufigen Terrasse am Lungomare, von der man aus die atemberaubendsten Sonnenuntergänge über dem Mittelmeer bestaunen kann.

Das Eröffnungskonzert stand unter dem Motto „Filmmusik“, was nicht ganz so populistisch ist, wie es klingt. Denn schliesslich war es der Meister selbst, der sich als erster italienischer Komponist nicht scheute, eine solche zu schreiben: zB. für den Stummfilm mit dem schönen Namen „Rapsodia satanica“.

Insofern war es nur logisch, dass an einem solchen Abend auch Filmmusiken seiner italienischen „Nachfahren“ wie Nino Rota, Ennio Morricone oder Piero Piccioni (der hauptsächlich für Alberto Sordi komponierte) aufgeführt wurden.

Dirigiert hat Beatrice Venezi, die zwar „Direttore“(Dirigent) und nicht „Direttrice“(Dirigentin) genannt werden will, das Publikum aber gleichzeitig mit einem rauschenden Ballkleid à la Aschenbrödel um Mitternacht entzückte. Genauso widersprüchlich waren auch ihre Tempi und Interpretationsansätze.

Am zweiten Abend sorgte der renommierte Jazzpianist Danilo Rea für einen unterschiedlichen, improvisatorischen Blick auf die Melodien Mascagnis.

img 0880
Mascagnis erster Liebesbrief an Anna Lolli.

Die größten neuen Erkenntnisse über Person und Werk des Livorneser Meisters gewann man aber am dritten Abend mit dem schönen Titel: LE PROSPETTIVE DELL’AMORE (Die Perspektiven der Liebe). Der gute alte Pietro war nämlich nicht nur der vorbildliche, seit frühester Jugend verheiratete Familienvater mit drei Kindern, sondern hatte auch eine Geliebte. Eine um 20 Jahre jüngere Chorsängerin mit dem schönen Namen Anna Lolli und den „unvergesslichen grûnen Augen“. So weit so gut, so weit so normal, so weit so banal. Das Aussergewöhnliche an dieser „Affäre“ ist, dass Mascagni seine grünäugige Freundin 35 Jahre lang (bis zu seinem Tode) „behielt“ und ihr täglich 1-2 Briefe schrieb. Aus diesen fast 5000 Dokumenten, die Anna der Kirche(!) ihrer Heimatgemeinde Bagnara di Romagna (wo es auch ein kleines, sehr schönes Museum gibt) vermacht hat, lasen an diesem denkwürdigen Abend der italienische Schauspielstar Laura Morante und ihre (ihr wie aus dem Gesicht gerissene) Tochter Agnese Claisse.

fullsizerender5
Agnese Claisse. Foto: Robert Quitta

Leíse, zurückgenommen, behutsam, nahezu zärtlich – ohne den geringsten (sonst bei italienischen Schauspieler/innen sonst so verbreiteten) Drang, Dinge herauszuschreien und Gefühle unnötig zu outrieren. Und so geschah es, dass man am Ende der Aufführung aus vielerlei Augenwinkeln Tränen kullern sah und dass wildfremde Menschen aller Altersgruppen einander ansprachen, um sich darüber auszutauschen, wie sehr sie diese ganze Geschichte bewegt hat.

Und das völlig zu recht: denn Mascagni, der doch nach aussen hin den feschen, erfolgsverwöhnten, weltberühmten Italo-Macho gab, zeigt sich in diesen Briefen als sensibler, von Selbstzweifeln zerrissener, unsicherer, gequälter, aber unendlich leidenschaftlicher Mensch. Und zu d e r Form der Poesie, zu der er sich gegenüber der blutjungen Lolli aufschwingt, um sie zuerst rumzukriegen und dann jahrzehntelang bei der Stange zu halten, waren nicht einmal seine doch sehr genialen Librettisten fähig…Was wäre diese 35jährige Liaison fatale denn nur fûr ein Opernstoff !

Hinzu kam bei diesem rundum geglückten Projekt noch, dass man dabei nicht nur neue Seiten der Person Mascagnis kennenlernen durfte, sondern auch neue Seiten seiner Musik. Denn zwischen der Lektüre der Briefe spielte das exzellente Orchester des Teatro Goldoni unter Massimiliano Caldi Ausschnitte aus den (im Gegensatz zur allgegenwärtigen Cavalleria Rusticana)

viel unbekannteren Werken wie Messa da Gloria, Iris, Silvano, Parisina, L’amico Fritz und Pinotta. Lauter wunderbare Musik, lauter Entdeckungen, die Lust auf die Begegnung mit den gesamten Opern machen.

Erfreulicherweise plant das Mascagni Festival für nâchstes Jahr die Aufführung des Einakters PINOTTA. Und das Teatro Goldoni in Livorno wird seine Wintersaison mit IL PICCOLO MARAT(zu dessen 100jährigen Jubiläum eröffnen. Das macht Vorfreude.

ENTDECKT MASCAGNI ! MENSCH UND MUSIK !!

Robert Quitta, Livorno

 

 

 

Diese Seite drucken