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BERLIN/ Philharmonie/Live Stream: SILVESTERKONZERT 2020 unter Kirill Petrenko

Mit stürmischem Feuer

01.01.2021 | Konzert/Liederabende
Live-Stream: Kirill Petrenko dirigiert die Berliner Philharmoniker am 31.12.2020 beim Silvesterkonzert in der Berliner Philharmonie/BERLIN
Mit stürmischem Feuer
 
Ein rein spanisches Repertoire stand auf dem Programm des Silvesterkonzerts der Berliner Philharmoniker, das wegen der Corona-Pandemie leider ohne Publikum stattfand. Seit Gustav Mahlers Zeiten hat sich eingebürgert, die „Leonoren“-Ouverüre Nr. 3 C-Dur op. 72 von Ludwig van Beethoven vor dem Schlussbild der in Spanien spielenden Oper „Fidelio“ zur Aufführung zu bringen. Kirill Petrenko betonte mit den Berliner Philharmonikern insbesondere den tiefen seelischen Gehalt dieses Werkes. Das Leiden des unschiuldig eingekerkerten Florestan und der kühne Entschluss der Frau, den Gatten zu befreien, kamen mit stürmischem Pathos zum Ausdruck. Das innige Thema aus der Florestan-Arie wurde mit glühender Emphase getroffen. Im Hauptteil setzte dann der zuversichtliche Hauptgedanke ein, dessen gewaltiger orchestraler Aufschwung nicht zu bremsen war. Kämpferische Impulse trugen dieses Hauptthema in rasanter Folge voran. Von fern erklang das Trompetensignal. Im fast zarten Aufschwung der Flöte entfaltete sich zuletzt machtvoll und kämpferisch die Stretta. Eine würdig-überschwängliche Huldigung zum Beethoven-Jahr also. Impressionistischer Farbschmelz und ein äusserst lebendig zuckender Rhythmus setzten sich bei der feurigen Wiedergabe von Manuel de Fallas „El amor brujo“ mit elektrisierender Leuchtkraft durch. Introduktion und Feuertanz rissen die Zuhörer in atemloser Geschwindigkeit mit. Die Welt der spanischen Zigeuner nahm bei dieser konzentrierten Interpretation sehr klangfarbenreich mit immer größerer Intensität Gestalt an. Auch die differenzierte Harmonik erinnerte manchmal an de Fallas „Nächte in spanischen Gärten“. Der spanische Gitarrist Pablo Sainz-Villegas überzeugte daraufhin einmal mehr beim „Concierto de Aranjuez“ für Gitarre und Orchester von Joaquin Rodrigo. Der zarte Gitarrenklang beschrieb hier die Gärten des spanischen Königspalasts mit ihren Springbrunnen, Bäumen und Vögeln. Doppelt besetzte Holzbläser, Hörner und Trompeten schilderten sehr facettenreich und reizvoll die rhythmische Eindringlichkeit dieser Sätze. Das Adagio war als wehmütiger Dialog erkennbar, den der Gitarrist Pablo Sainz-Villegas ausdrucksvoll herausstellte. Ein höfischer Tanz im Zweier- und Dreiertakt beherrschte das sensibel interpretierte Finale. Die spanische Romanze eines Anonymus aus dem Film „Jeux interdits“ in der Bearbeitung von Chris Hazell erhielt in der Wiedergabe durch Pablo Sainz-Villegas und die durchsichtig musizierenden Berliner Philharmoniker immer deutlichere Intensität. Ein Höhepunkt dieses Silvesterkonzerts war in jedem Fall die Wiedergabe der „Bachianas brasileiras“ Nr. 4 von Heitor Villa-Lobos. Der leuchtkräftige Klang dieser Komposition kam bei der glutvollen Interpretation von Kirill Petrenko und den Berliner Philharmonikern voll zum Vorschein. Brasilianische Melodien schälten sich in geheimnisvoller Weise aus dem barocken Ton der Polyphonie des Thomaskantors Johann Sebastian Bach, von der Cantus-firmus-Technik ganz zu schweigen. Neben der erregenden Rhythmik faszinierten dabei insbesondere die polytonalen Klangmischungen. Gewaltige Bläserchoräle mündeten in einen imponierenden Klangkosmos, der sämtliche Stilrichtungen der Musikgeschichte in faszinierender Weise beschwor. Zum Abschluss wurde es dann russisch-spanisch: Zu hören war Nikolaj Rimsky-Korsakows Capriccio über spanische Themen op. 34. Da konnten die exzellent musizierenden Berliner Philharmoniker unter der inspirierenden Leitung von Kirill Petrenko dann noch einmal aus dem Vollen schöpfen. Klangpracht und Leuchtkraft der Partitur kamen hier wirkungsvoll zum Vorschein. Anklänge an Berlioz und Liszt waren herauszuhören. Rimsky-Korsakows aussordentliche Instrumentationskunst kam nicht nur bei den raffinierten Schlagzeug-Einsätzen grell zum Vorschein. Selbst die eigenartige Harmonik der russischen Kirchenmusik blitzte zuweilen ganz versteckt hervor. Man merkte den Musikern an, wie froh sie waren, wieder musizieren zu dürfen. Und Kirill Petrenko feuerte sie als Dirigent immer wieder mit unbändigem Temperament an! „Die Philharmoniker brachten mich in eine neue Dimension“, sagt der spanische Gitarrist Pablo Sainz-Villegas. Das spürte man beim Konzert deutlich.
 
Alexander Walther

 

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