CD „ECHOES OF WAR“ – Klaviertrios von WEINBERG und SHOSTAKOVICH – TRIO MARVIN, ARD International Music Competition; Genuin
Noch gar nicht sehr lang gibt es diese Formation mit Namen Trio Marvin, die sich besonders dem unerschöpflichen Repertoire der Sowjetzeit verschrieben hat.Vita Kan (Klavier), Marina Grauman (Violine) und Marius Urba (Violoncello) haben sich 2016 in Leipzig zu diesem Tiefe, Authentizität und Wahrheit von Musik atmenden Trio zusammengetan. Auf ihrer Debüt-CD spielen sie das Klaviertrio in a-Moll Op. 24 (1945) von Mieczyslaw Weinberg sowie das geniale Klaviertrio Nr. 2 in e-Moll Op. 67 (1944) von Dmitri Shostakovich.
Das so Besondere und Überwältigende dieser beiden Trios ist die überbordende Lebenskraft und bei aller Schrecknis steten Zuversicht und Ironie zugewandte jüdische Musik, und das auch noch im Angesicht imminenter Gefahren und dunkelster zeitgeschichtlicher Konnotationen. Der von mir überaus bewunderte polnische Komponist Mieczyslaw Weinberg, dessen gesamte Familie im Warschauer Ghetto umkam, war Schüler und Zögling von Dmitri Shostakovich. Er schrieb 1945 sein Klaviertrio Op. 24, das von Glanz und Gloria in eine kalte (aber nicht ausweglose) Finsternis blickt. Lyrik und hämmerndes Ostinato, strenger Kontrapunkt und groteske Walzerklänge sowie ein zur Biographie des Tonsetzers schräg kontrastierender Choral bezeugen den Einfluss des Genies Shostakovich auf das kreative Schaffen des schüchtern zurückgezogen lebenden Weinberg. Ein schmaler Grat ist es ja nur, der uns im Sonnenlicht vom Jenseits trennt. In diesem Wissen singt und klingt das Allegro moderato schlussendlich erlösend.
In der rauen, drastisch akzentuierten, aber respektvollen Annäherung an den klingenden Kosmos des Dmitri Shostakovich wird die gesamte Geschichte des 20. Jahrhunderts zu Klang. Im Bewusstsein eines finalen Krieges sticht der nach vorwärts gerichtete Blick der Musik, der Optimismus im Wissen um Tod und Vergänglichkeit unserer saturierten Trägheit ins Fleisch. Shostakovich hat sein zweites Trio mit vielen jüdischen Motiven Iwan I. Sollertinsky (1902-1944) gewidmet, einem engen Freund mit einem unglaublichen Gedächtnis, der 26 Sprachen beherrschte und gleichermaßen Schriftsteller und Musikwissenschaftler war. Während der Komposition starb der Seelengenosse. Leid des Krieges, Tod und Zerstörung bilden die Grundierung des Werks. Im vierten Satz wandeln sich jüdische Tanzthemen in “eine Danse macabre, einen surrealistischen Marsch des Todes”. (Trio Marvin)
Das fabulöse deutsche Trio Marvin spielt diese so immens reiche, in Emotion und Stilmittel äußerst kontrastierende, besonders in ihren zärtlich melancholischen Passagen atemberaubende Musik mit archaischer Urkraft und in dynamischen Extremen – ohne Rücksicht auf Schönklang oder gar Gefälligkeit. Innehalten und entfesselter Ausbruch, Kantilenen an den gewitterverhangenen Himmel und schriller Bogenstrich, das alles fügt sich beim Trio Marvin zu einem klingenden Kosmos, direkt und unverblümt, menschlich reich und reif.
Nicht weniger als eine Referenzaufnahme.
Dr. Ingobert Waltenberger