CD GIUSEPPE VERDI: I DUE FOSCARI – Live Aufnahme aus dem Prinzregententheater München vom Oktober 2018, BR Classics
“Die Foscari gefallen? Gut so. Merkwürdig ist indes das Urteil, das man über diese Oper abgibt. ‚Meine besten Arbeit, was Wissenschaft anbelangt?‘ Dabei ist sie, abgesehen von der Introduktion, die einfachste Oper der Welt.” Verdi an den Jugendfreund Giuseppe Demaldé, April 1845
Veröffentlichung: 5. Juli 2019
Der kroatische Dirigent Ivan Repušić trägt bei Verdi keine Handschuhe, die Ärmel sind aufgekrempelt. Es darf auch temperamentvoll knallen. Ob er im Verdi-Fach in die Fußstapfen Sinopolis treten wird? Gut vorbereitet als Gastdirigent an der Deutschen Oper Berlin und als Generalmusikdirektor der Staatsoper Hannover übernahm Repušić in der Spielzeit 2017/2018 das Amt des Chefdirigenten des Münchner Rundfunkorchesters. Leo Nucci ist noch einmal in einer charismatischen Dogenrolle zu erleben.
Nicht allzu oft gebührt dem Dirigenten in der Oper das erste Wort. Bei dem fabulösen Ivan Repušić geht es jedoch nicht anders. Der kroatische Jungpultmeister setzt eine schöne Verdi-Tradition fort: Dieses genuine unverwechselbare rauschhafte Gefühl aus furiosen Ensemble-Effekten, das Aufeinander von Cantabile und Cabalettas, Preghieras, gedehnten Dreierrhythmen und barcarole-typischen 6/8 Takten, die unwiderstehliche Sogwirkung aller von Verdi unnachahmlich aufgepeitschten Extremsituationen der Protagonisten, erleben nun bei Ivan Repušić ein Revival.
Nach der gelungenen Debüt CD-Einspielung von “Luisa Miller” mit Marina Rebeka in der Titelpartie (BR Classics) stellt Ivan Repusic mit den Kräften des Münchner Rundfunkorchesters, dem wie immer professionellen Chor des Bayerischen Rundfunks und einer feuerspeiend die Leidenschaften bis zum sprichwörtlichen Wahnsinn auskostenden Solistenschar (Leo Nucci als Francesco Fosacari, Guanqun Yu als Lucrezia Contarini, Bernadette Fodor als Pisana, Ivan Magrì als Jacopo Foscari, István Horváth als Senator Barbarigo, Miklós Sebestyén als Jacopo Loredano, Moon Yung Oh als Fante del Consiglio und Matthias Ettmayr als Servo del Doge) Verdis „I Due Foscari“ vor. Einst fragte man Renato Bruson nach der musikalisch ergiebigsten aller Verdi-Opern aus den experimentell so reichen “Galeerenjahren”, und er antwortete ohne zu zögern „I Due Foscari“. Wer diese Aufnahme hört, weiß warum.
Lord Byron lässt in dem Stück das Schicksal eines Dogen Revue passieren, den die Macht und politischen Fallstricke den Sohn und schließlich ihn selbst dahinraffen. Wir erinnern uns hier – nicht unbedingt stilistisch – an Verdis „Simon Boccanegra“, das musikdramatisch subtilere Dogenpalast-Epos. Byron bedurfte der fetzigen Theaterpranke des Librettisten Francesco Maria Piaves, um ein Libretto ganz nach dem Geschmack und den wachsenden Möglichkeiten des Giuseppe Verdi gerecht zu werden. Weniger Psychologie der Fäden steht in der Oper im Vordergrund, dafür umso mehr an geraffter Intrige und die Unerbittlichkeit des Zehnerrats als Machtkollektiv. Wichtig für das strukturelle Verständnis laut Sebastian Stauss ist, dass „Verdi Leitmotive nicht strukturgebend einsetzt und verarbeitet, sondern beinahe in Vorwegnahme filmischer Mittel schnittartig und zur Überblendung zwischen den Auftritten verwendet.“
Die oben genannten Besetzung glänzt durch Licht mit Halbschatten gemischt. Der aus Catania stammende lyrische Tenor mit spinto Qualitäten Ivan Magrì (Elena Habermann führte 2018 ein interview mit ihm für den Online Merker) war ja schon der Tenorstar der Luisa Miller. Auf der neuen Aufnahme besticht der Sizilianer durch einen jung forschen, gut sitzenden Tenor, Temperament und offensive Strettas. Im Stück soll Jacopo Foscari einen Gegner seiner Familie getötet haben und soll daher sterben. Das Urteil wird zum Exil “abgemildert”, nachdem Jacopos Frau Lucrezia beim Dogen Fürsprache einlegt. Die chinesische Sopranistin Guanqun Yu müht sich nach Redlichkeit, den adäquaten Verdi-Ton zu treffen. Das gelingt ihr auch über weite Strecken. Ihr Sopran ist zwar ausreichend dramatisch gestählt und lodert passioniert, allerdings gibt es Verengungen in extremen Lagen zu konstatieren. Übersteuern war aber noch nie ein adäquates Mittel, um in einem Fach zu wachsen. Hoffen wir das Beste für ihre Zukunft, das Stimmmaterial gäbe ja Anlass zu großen Versprechungen.
Im Zentrum der Ausführung steht Leo Nucci als Doge Francesco Foscari. Das herbe unverwechselbare Timbre ist selbst nach so vielen intensiv gelebten Opernjahren in bester Verfassung. Das gewisse für meine Ohren nicht angenehme Raufschleifen von Tönen hat er sich allerdings auch nicht abgewöhnt. Bleibt ein Routinier und Verdi-Veteran von Gnaden, der den goldrichtigen Stil aus dem Effeff kennt, aber gewisse Abnutzungserscheinungen nicht verleugnen kann. In der gaumigen trockenen Tonproduktion erinnert er in Ansätzen an den mittleren Wächter. Es ist nicht seine erste Aufnahme des Dogen: Aus dem Teatro Regio di Parma gibt es einen DVD/Blu-ray Mitschnitt aus dem Jahr 2011 mit Roberto De Biasio, Roberto Tagliavini und Tatjana Serjan unter der musikalischen Leitung von Donato Renzetti. Schon 2000 wurde “I Due Foscari” mit Leo Nucci im Teatro San Carlo in Neapel gefilmt, mit Scola und Pendatchanska unter dem Dirigenten Nello Santi. Ebenfalls noch auf DVD erhältlich. Eine Frage muss hier gestattet sein: Warum tut sich dieser verdienstvolle Sänger jetzt noch eine dritte, stimmlich weniger gute Aufnahme an?
Bernadette Fjodor als Pisana, István Horvath als Barbarigo und Miklós Sebestyén agieren stimmlich gediegen.
Nach wie vor unübertroffene Referenzeinspielung von ”I Due Foscari”: Piero Cappuccilli, Jose Carreras, Katia Ricciarelli, Samuel Ramey, ORF Symphonie Orchester unter Lamberto Gardelli, Decca 1977
Dr. Ingobert Waltenberger