Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

STUTTGART/ Liederhalle: 6. SINFONIEKONZERT DES STAATSORCHESTERS -Cambreling, Kremer

14.05.2017 | Konzert/Liederabende
  1. Sinfoniekonzert des Staatsorchesters Stuttgart in der Liederhalle

INNERLICH AUFGEWÜHLTE STIMMUNG

6. Sinfoniekonzert des Staatsorchesters Stuttgart im Beethovensaal der Liederhalle am 14.5.2017/STUTTGART

Bildergebnis für gidon kremer
Gidon Kremer. Copyright: Angie Kremer

Der Geiger Gidon Kremer, der Ende der 1970er-Jahre seine Ausbürgerung durch die Moskauer Behörden erzwang, war Stargast des 6. Sinfoniekonzerts, das das bestens disponierte Staatsorchester Stuttgart unter der forschen Leitung von Sylvain Cambreling bestritt. Victor Kissine hat sein 2012 entstandenes Konzert für Violine und Orchester seinem Freund Gidon Kremer auf den Leib geschrieben. Der 1953 in der Sowjetunion geborene und 1990 nach Belgien emigrierte Kissine spürt auch bei dieser Komposition mit zerbrechlichen Klängen eine verlorene Harmonie auf. Geheimnisvolle Stimmen der Stille machen sich hier bemerkbar, wobei sich das Rezitativ der Solo-Geige glanzvoll behauptet. Auf der höchsten G-Saite wird das Werk in geheimnisvoller Weise eröffnet. Espressivo-Stimmung beherrscht die drei Tonfolgem G, C und Des, wobei sich das harmonische Gerüst in kunstvoller Weise immer weiter auffächert. Mit zartem Linienspiel ließ Kremer hier sein Instrument sprechen, feinnervige Zwischenöne entlockten der Violine immer wieder unerhörte Klänge. Triangel-Klänge und das Flirren der Chimes-Klangstäbe verfeinerten seine Musizierweise ungemein. Die Suche nach der verlorenen Harmonie gestaltete Gidon Kremer mit starkem harmonischem Hintersinn. Das symmetrische Kreisen um die Töne G-D, E-E und C bildete bei dieser suggestiven Wiedergabe einen deutlichen Schwerpunkt, dessen Intensität nicht nachließ. Und der Orchester-Refrain verstärkte den Charakter der „Transzendenz“ in dieser Komposition, in die sich Gidon Kremer und  das Staatsorchester Stuttgart unter der Leitung von Sylvain Cambreling ganz hineinversenkten.

Als Zugabe spielte Gidon Kremer noch hochkonzentriert drei Präludien von Mieczyslaw Weinberg. Anschließend bot das Staatsorchester Stuttgart unter Cambreling eine ausgezeichnete Interpretation von Peter Tschaikowskys Sinfonie „Manfred“ in vier Bildern nach dem dramatischen Gedicht von Lord Byron op. 58. Das eigene Erleben in der Schweizer Bergwelt soll den Ausschlag für Tschaikowskys Komposition gegeben haben. Auf der Flucht vor der inzestuösen Beziehung zu seiner Schwester irrt Manfred durch die Schweizer Alpen. Manfreds Seelenqualen verbinden sich hier mit den geisterhaften Erscheinungen der Natur, was Sylvain Cambreling mit dem vorzüglichen Staatsorchester überzeugend herausarbeitete. Das Seelengemälde des ersten Satzes, wo Manfred von den Qualen des Zweifels gefoltert wird, erinnerte stark an den harmonischen Charakter der „Symphonie fantastique“ von Hector Berlioz. Die „idee fixe“ erklang gleich zu Beginn in einer Bassklarinette und drei Fagotten. Im fallenden Septim-Intervall erreichte die tragische Gestalt Manfreds eine düstere Größe, die sich stets verstärkte. Im vierfachen Forte setzten bei dieser Wiedergabe schließlich die Blechbläser in gewaltiger Weise ein, auch das Streicher-Martellato wirkte immer wieder sehr schroff. Und die Magie des zweiten Satzes mit seinen impressionistischen Tendenzen wurde von Cambreling und dem Staatsorchester gut erfasst. Im Verharren der ersten Violinen auf dem Ton Fis kündigte sich sphärenhaft das Erscheinen der Alpenfee an. Hier erreichte diese Interpretation einen großen und erstaunlichen Klangzauber, der auf die Spielkultur des Staatsorchesters Stuttgart ein sehr gutes Licht warf. Nicht weniger positiv war schließlich der Eindruck, den der dritte Satz mit seiner pastoralhaften Stimmung hinterließ. In empfindlichen Dissonanzen brachen Manfreds tiefe seelische Wunden auf. Die Erlösung als ungeheure Apotheose und das Ende der irdischen Leiden erreichten im vierten Satz einen bewegenden C-Dur-Taumel, was die Harmonium-Klänge in reizvoller Weise unterstrichen. Nach dem „Dies irae“-Zitat erlosch das Werk in sphärenhaftem H-Dur. Den durchsichtigen Klangteppich traf der Dirigent Sylvain Cambreling mit dem Staatsorchester hervorragend. Man spürte förmlich, wie sich die Motive in kleinste Teile zerlegten.

Starker Schlussapplaus, „Bravos“.

Alexander Walther

 

Diese Seite drucken