15 CD-Box GUSTAV MAHLER: COMPLETE SYMPHONIES mit dem ROYAL CONCERTGEBOUW ORCHESTRA – The Chief Conductors Limited Edition
Klaus Mäkelä wird in seiner Funktion als designierter Chefdirigent des Royal Concertgebouw Orkest (offizielle Start der Funktion ist September 2027) ab 9. Mai 2025 zur Eröffnung des RCO Concertgebouw-Mahler-Festivals die Symphonie Nr. 1 musikalisch leiten. Später im Jahr folgen Mahlers Symphonien 8 und 5 in verschiedenen Konzerten. Man darf davon ausgehen, dass die künstlerischen Ergebnisse des „Neuen “in Ton (und Bild) festgehalten und somit den Ausgangspunkt eines neuen Mahler-Zyklus des Orchesters bilden werden. (Anm.: Eine Neuerung in der Saison 2024/25 ist die Einrichtung eines „associate conductor“ ein, der an den Programmen mitwirken wird. Erster „associate conductor“ wird Aurel Dawidiuk.)
Aus Anlass dieses RCO Concertgebouw-Mahler-Festivals 2025 erscheint die Box „Mahler – The Chief Conductors“ in einer limitierten Edition mit allen Mahler-Symphonien, dirigiert von Mäkeläs Vorgängern Willem Mengelberg, Eduard van Beinum, Bernard Haitink, Riccardo Chailly, Mariss Jansons und Daniele Gatti, zudem „Das Lied von der Erde“ und Deryck Cookes fünfsätzige Fassung der 10. Symphonie.
Ein Teil der Aufnahmen erscheint zum ersten Mal auf CD, notabene die Erste, Fünfte, Sechste, das Lied von der Erde sowie die Bearbeitung der Zehnten. Die Aufnahmen der Symphony Nr. 3 mit Eduard van Beinum (Solistin Maureen Forrester, 14. Juli 1957) sowie der Symphony Nr. 4 unter Willem Mengelberg (Solistin Jo Vincent, 9. November 1939) wurden neu remastered. Die Einspielung der Symphony Nr. 9 mit Bernard Haitink vom 15. Mai 2011 erscheint zum ersten Mal nur auf Tonträger.
Die Mahler-Tradition des 1888 gegründeten Klangkörpers ist Legion. Mahler selbst dirigierte mit dem Amsterdamer Luxusorchester im Jahr 1903 Aufführungen seiner „Ersten“ und „Dritten“, 1904 leitete er seine „Zweite“ und „Vierte“, 1905 seine „Fünfte“, die „Kindertotenlieder“ und schließlich 1909 seine „Siebte“. Es entwickelte sich eine enge Freundschaft des Komponisten zum Chefdirigenten des Orchesters Wilhelm Mengelberg, der 1920 Symphonien Mahlers als Zyklus präsentierte. Später setzten vor allem die Orchesterchefs Eduard van Beinum und ab 1957 Bernard Haitink die Mahler Tradition mit ihrem Charisma und ihrer stupenden Klangfantasie fort.
Für mich persönlich war die Begegnung mit der ersten Mahler Philips Box von Bernard Haitink mit dem RCO in den Siebziger-Jahren ein musikalisches Schlüsselerlebnis.
Die neue Box ist zuerst einmal, was den Vergleich von Willem Mengelberg und Eduard van Beinum anlangt, musikalisch aufschlussreich. Ist die Interpretation der vierten Symphonie durch Mengelberg in ihrer für heutige Verhältnisse willkürlich scheinenden Subjektivität, ja agogisch mit Extremen hantierenden, kaum fasslichen Manieriertheit ein schwerer Brocken für heutige Ohren, so erweist sich der oft als sachlich abgetane van Beinum als für mich größte positive Überraschung der Box überhaupt. „Seine“ Dritte ist ein wunderbares Zeugnis moderner Mahler-Exegese. Wessen musikalisches Herz außer für die bewunderten Mahler „Götterdirigenten“ Leonard Benrstein und Claudio Abbado (die Liste ist nach subjektivem Empfinden beliebig zusammenzustellen) für Klaus Tennstedt, Michael Gielen oder Jonathan Nott schlägt, wird sich an der Dritten mit der formidablen Altistin Maureen Forrester im 4. Satz (‚Oh Mensch! Gib Acht! Was spricht die tiefe Mitternacht?‘) nicht satthören können.
Natürlich fordert die Box zu vergleichendem Hören der großen Interpretationen von Haitink, Chailly, Janssons und Gatti geradezu heraus, wobei die Qualität der Lives bis zu einem gewissen Grad auch die jeweilige Tagesverfassung von Dirigenten und Orchester widerspiegeln. Reißt mich etwa Chaillys Erste nicht vom Hocker, so dürfen seine Lesarten der Fünften und der Zehnten als Offenbarungen an Binnenspannung, Plastizität, detaillierter Feinzeichnung und großem Bogen gelten.
Das Wichtigste in der Würdigung der 14 Stunden Musik dieser exzeptionellen Box ist jedoch der spezifische Mahler-Sound des Orchesters, der Generationen an Musikliebhabern bestens vertraut und ans Herz gewachsen ist. Neben der für ein Weltspitzenorchester nötigen orchestralen Brillanz ist hier besonders das Atmosphärische, das gewisse romantische Fluidum des Orchesterklangs, der weite Fluss der Kantilenen zu nennen. Die kosmischen Klangwelten, die lautmalerisch tönende Natur, die Humanitas Mahlers, seine apokalyptischen Reiter und tröstlichen Engelgeschwader erleben hier ihre individuell unverwechselbare Kristallisation.
Als Grund für den so charakteristischen „Concertgebouw-Klang“ des Spitzenorchesters werden oft die akustischen Besonderheiten des Concertgebouw-Saals und die über die Jahrzehnte hinweg stabilen musikalischen Direktionen genannt. In 137 Jahren gab es nur sieben Chefdirigenten, davon amtierte alleine Mengelberg von 1895-1945 und Haitink von 1961-1988. Außerdem ist der so angenehm sinnenbetörende, expressive Klang nicht zuletzt auf die Provenienz der Instrumente zurückzuführen. Als besonders Spezifikum gilt die Zusammensetzung der Holzbläser, die Instrumente französischer und deutscher Bauart einschließt.
Mein persönlicher Favorit der Box: Die bis ins Mark aufwühlende „Siebte“ unter Mariss Jansons vom 30. September 2016. Aber hören Sie und wählen Sie auf hohem und allerhöchstem Niveau selbst.
Inhalt der Box:
· Symphonien Nr. 1 D-Dur „Titan“ 1884-1888, revidiert 1909 (live Riccardo Chailly, 29. April 1999)
· Nr. 2 c-moll „Auferstehung“ 1888-1894 (Chen Reiss, Karen Cargill, Netherlands Radio Choir, live Daniele Gatti 18. September 2016)
· Nr. 3 d-moll 1893-1896, revidiert 1906 (Maureen Forrester, Toonkunstkoor Amsterdam, live Eduard von Beinum, 14. Juli 1957)
· Nr. 4 G-Dur 1893-1896, revidiert 1906 (Jo Vincent, live Willem Mengelberg, 9. November 1939)
· Nr. 5 cis-moll 1901-1902 (live Riccardo Chailly, 10. Oktober 1997)
· Nr. 6 a-moll 11903-1904, revidiert 1906 (live Bernard Haitink 7. Dezember 2001)
· Nr. 7 e-moll 1903-1904 (live Mariss Jansons 28.-30. September 2016)
· Nr. 8 Es-Dur „Sinfonie der Tausend“ (Christine Brewer, Camilla Nylund, Maria Espada, Stephanie Blythe, Mihoko Fujimura, Robert Dean Smith, Tommi Hakala, Stefan Kocan, Netherlands Radio Choir, State Choir „Latvija“ (live Mariss Jansons, 4. und 6. März 2011)
· Nr. 9 D-Dur (Bernard Haitink 13. und 15. Mai 2011)
· Nr. 10 Fis-Dur (in der fünfsätzigen Fassung von Deryck Cooke, live Riccardo Chailly, 18. Juni 2000)
· Das Lied von der Erde (Anna Larsson, Robert Dean Smith, live Bernard Haitink 7. November 2006)
Dr. Ingobert Waltenberger