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NAXOS bringt Rossinis Guillaume Tell vom Wildbad Festival 2013 als erste Gesamtaufnahme der gesamten Partitur auf 4 CDs heraus

28.03.2015 | cd

NAXOS bringt Rossinis Guillaume Tell vom Wildbad Festival 2013 als erste Gesamtaufnahme der gesamten Partitur auf 4 CDs heraus

Repertoirebereicherung und kurzweiliges Hörvergnügen auf einen Streich

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Im Rahmen der Kooperation mit dem deutschen Rossini Festival Bad Wildbad und dem Südwestfunk SWR veröffentlicht NAXOS nun den Livemitschnitt von Rossinis noch immer selten gespieltem Spätwerk Guillaume Tell zur Freude der entdeckungshungrigen Rossini-Gemeinde, aber auch der Liebhaber von Belkanto und französischer Grand Opera. Die lebendige Aufnahme, die seit Wochen an der Spitze der französischen Klassikcharts steht, wird vom musikalischen Direktor des Rossini Festivals in Wildbad, Antonio Fogliani mit sicherem Gespür für effektvolle Rossinische Steigerungen, aber auch im Auskosten romantischer Lyrismen agogisch einfühlsam geleitet. Wie schon bei den ebenfalls bei NAXOS erschienenen Aufnahmen der Opern des Schwans von Pesaro, Semiramide und Otello, stehen ihm als Orchester die fabelhaften Virtuosi Brunensis zur Verfügung. Dahinter verbirgt sich nichts anderes als eine Auswahl der besten Musiker des Brünner Janacek Theaters und der Brünner Philharmoniker. Als im Dauereinsatz singender Chor engagieren die Wildbader regelmäßig stimmkräftige Sängerinnen und Sänger aus Polen, und zwar die Camerata Bach Choir, Poznàn, die sich aus Mitgliedern des Opernchors aus Poznan und der Krakauer Philharmoniker zusammensetzt.

Das Unternehmen steht und fällt mit dem Dirigenten Antonio Fogliani, der seine Sache sehr gut macht und eine von Tempi, packender Unmittelbarkeit und Spannungsreichtum wesentlich überzeugendere Umsetzung anbietet als etwa Lamberto Gardelli in seiner berühmteren, aber dahinplätschernden EMI Einspielung (mit Gedda und Caballé). Spannend ist das Unterfangen philologisch auch deshalb, weil die Wildbader Einspielung als Supplement auch das Finale der Pariser Fassung aus 1831 und die Originalversion des Pas de trois und Choeur tyrolien anbietet.

Von den Sängern her kann die neue Aufnahme naturgemäß nicht mit der Referenzversion unter Riccardo Chailly (Milnes, Pavarotti, Freni, Ghiaurov, Connell, Tominson, della Jones!!!) konkurrieren, bietet aber teils erstklassige bis anständige Leistungen der Protagonisten. Besonders gut gefällt mir der Arnoldo des Michael Spyres. Der junge amerikanische Tenor, der schon als Hofmann in Barcelona und in La donna del lago an der Royal Opera Covent Garden zu hören war, meistert die wahrlich rauhen Klippen der Partitur mit metallisch unterlegtem, gut sitzendem lyrischen Tenor. Er braucht kaum einen Vergleich mit anderen berühmten Sängern dieses Fachs zu scheuen. Auch Andrew Foster-Williams als Tell und Judith Howarth als unglücklich liebende Habsburger Prinzessin Mathilde bietet exzellente Leistungen und singen mit rundem Ton und gebotener Emphase ihre großen Arien und Ensembles in Rossinis großer Freiheitsoper. Die Amerikanerin TaraStafford in der Hosenrolle des Jemmy, Sohn des Wilhelm Tell (das ist der Junge „mit dem Apfel auf dem Kopf“) bringt ihren schönen lyrischen Koloratursopran ins Rennen und singt vor allem ihre große Arie im Finale des 3. Aktes ganz vorzüglich. Der einzige wirkliche vokale Schwachpunkt ist Raffaele Facciolà in der Rolle des Bösewichts Gessler. So rauh, brüchig und bröselig darf ein Bass nicht, und schon gar nicht in einer Rossini-Oper klingen.

Insgesamt bereitet die auch technisch exzellente Aufnahme aus Bad Wildbad aus dem Jahr 2013 ein hohes Hörvergnügen und stellt eine echte Bereicherung der doch noch recht knappen Diskographie dieser Oper dar. Im Booklet findet man neben den üblichen Informationen auch eine spannende Erklärung über den Mythos von Rossinis „Verstummen“, der aus Sicht des Autors Reto Müller eher an den jahrelangen Rechtsstreitigkeiten um Rossinis französische Rente (unter Karl X und Louis -Philippe) als an angeblichen kompositorischen Schwächen und schöpferischen Grenzen auszumachen war. Ein interessanter, durchaus plausible klingender Ansatz. Und doch sehr schade für die Musikwelt, falls es stimmen sollte. Denn dann hätte das staatliche Rentenkürzungsprogramm unter Louis- Philippe u.a. wohl die Entstehung des Rossinischen Faust als erste von fünf vereinbarten weiteren Opern für die Académie Royale de Musique auf dem Gewissen.

Dr. Ingobert Waltenberger

 

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