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DESSAU/ Kurt Weill-Fest: ABSCHLUSSKONZERT UND BILANZ

17.03.2015 | Konzert/Liederabende

DESSAU / Kurt Weill Fest – Abschlusskonzert und Bilanz am 15.3. 2015 (Werner Häußner)

 „In eins verschmolzen sind Wort und Töne“ singt die Gräfin in Richard Strauss‘ „Capriccio“: Für sie ist die Frage nach dem Vorrang von Text oder Musik in der Oper gelöst. „Zu einem Neuen verbunden“ sind sie. „Eine Kunst durch die andere erlöst.“

Wenn es denn so harmonisch wäre. In einer Zeit, in der Strauss und sogar der Wortfanatiker Wagner das Übertiteln ihrer Bühnenwerke erdulden müssen, weil es an artikuliertem Singen mangelt, stellt sie die Frage auf ganz andere Weise neu. Auch für das Abschlusskonzert des Dessauer Kurt Weill Festes: Sara Hershkowitz produzierte die Töne des programmatischen Schlussmonologs aus „Capriccio“ mit einem wie Messing blitzenden Sopran, mit monochromen Vokalen, ohne sprachorientierte Flexibilität und vor allem meist wortunverständlich. Da erlöst keine Kunst die andere.

Das 23. Kurt Weill Fest in Dessau hat sich unter dem Motto „Vom Lied zum Song“ aufgemacht, der Sprache und ihrem Verhältnis zur Musik nachzuspüren. Intendant Michael Kaufmann hatte schon Recht, wenn er meinte, man müsse eigentlich von der Arie und vom Kunstlied ausgehen. Aber im „Lied“ konzentriert sich die angesprochene Problematik: Es ist – anders als eine auf gesangliche Virtuosität oder Expression angelegte Arie – ohne den Text tödlich amputiert.

Weill hatte in seinen „Songs“ diesen Primat des Textes akzeptiert, ohne die Musik an ihn zu verraten: für das Duo Brecht – Weill eine Quelle des Konflikts, der sich in den Proben zur „Dreigroschenoper“ exemplarisch entzünden sollte. Beim diesjährigen Kurt Weill Fest ließ sich nicht nur in diesem Schlüsselwerk für die Moderne wie für das Brecht-Theater – aufgeführt von HK Gruber und dem Ensemble Modern – der Wort-Klang-Problematik nachspüren.

Die Verbindung von Sprache, Ton und Bild war für Weill in seinen Bühnenwerken eine faszinierende Herausforderung. Als er gemeinsam mit Bertold Brecht und dem Filmemacher Carl Koch 1927 eine große Revue über das Ruhrgebiet plante, sollte das epochemachende Werk ein „neues Ineinanderarbeiten von Wort, Bild und Musik“ begründen. Weil die Stadt Essen zögerte, wurde das Projekt nicht ausgeführt. Es wäre, liest man das Konzept heute, ein zukunftsweisendes Werk geworden. Aber Weill benutzte dann „Szenenbilder durch Lichtbildwurf“ in dem 1927 uraufgeführten „Royal Palace“, einer „Zeitoper“, eng verwandt mit Ernst Kreneks Sensationserfolg „Johnny spielt auf“, aber auch mit der heute vergessenen „opera grottesca“ von Eugen d’Albert „Die schwarze Orchidee“.

„Royal Palace“ in einer überflüssig halbszenischen Form mit ein paar Dias im Bühnenhintergrund war das Kernstück des Abschlusskonzerts im Anhaltischen Theater: Die Deutsche Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz füllte in großer Besetzung die Bühne, der MDR Kinderchor steuerte seinen Part aus dem Hintergrund bei. Weill und sein Librettist Yvan Goll schufen mehr als ein Zeitstück: „Royal Palace“ ist ein Hotel, das – ähnlich wie in Vicki Baums 1929 erschienenen Roman „Menschen im Hotel“ – eine Metapher für die moderne Lebenswelt ist.

Wie so oft bei Weill gibt es Momente des Melodrams und des Sozialstücks. Aber das Parabelhafte gewinnt die Oberhand: Die Offenbachiade einer Frau mit zwei Liebhabern – einem verflossenen und einem zukünftigen – neigt sich zur schwermütigen Schau auf verlorene Existenzen, von Goll noch durch einen geheimnisvoll-märchenhaften Zug verstärkt. Die letzten Worte lassen gar an Büchners „Woyzeck“ denken, die Parabel über das Scheitern des verlorenen Menschen der Moderne schlechthin.

Die unterschiedlichen Stile der Musik hat Weill dramaturgisch sehr präzis eingesetzt. Klavier und Glocken zu Beginn und am Schluss mögen an Transzendentes mahnen; der verhaltene ostinate Rhythmus erinnert schon an minimal music, aber auch an das „Grundrauschen“ einer ständig in hektischer Bewegung befangenen Welt. Ausgiebige rhythmische Bewegungsimpulse, der Reflex auf moderne Zeittänze und eine grotesk verzerrte Zirkusmusik spiegeln die Unruhe, das Getriebensein der Zeit.

Dazwischen müssen sich Menschen ihren echten, eingebildeten, vorgetäuschten Gefühlen stellen, einsam, haltlos, orientierungslos. Der Sopranpart der Dejanira fordert eine dramatische Sängerin mit dem Esprit einer Diseuse – und Sara Hershkowitz sucht beiden Polen gerecht zu werden. Rainer Trost, der „Liebhaber von morgen“, zeigt eine vortrefflich beherrschte Stimme; Markus Raabs rauer Bass passt zur Rolle des Ehemanns; Jens Müller, der „Liebhaber von Gestern“ lässt ebenso wie Andromahi Raptis als namenloses Sopransolo nicht vergessen, dass Weill die gestalterische Potenz seiner Darsteller heftig herausfordert. Verstehen kann man kaum etwas: Weills Sprach-Sorgfalt wird auf der Bühne schmählich verraten, ertrinkt auch immer wieder im Mega-Sound des Orchesters.

Unter Ernst Theis‘ meist nur taktgebendem Stab kann die Staatsphilharmonie aus Ludwigshafen nur punktuell zeigen, was in ihren Orchestergruppen steckt. Die riesige Bühne des Dessauer Theaters erweist sich als akustische Falle: Die undifferenzierte Lautstärke, die breiigen Tutti, der Mangel an Detail-Finesse dürfte nicht nur den Musikern und dem Dirigenten in die Schuhe zu schieben sein. Dennoch sind in diskreten Stellen der Streicher und in massiven Einlassungen der Bläser Schwächen hörbar, die mit der Akustik nichts zu tun haben.

In Richard Strauss‘ Suite „Der Bürger als Edelmann“ ist zwar die Imitation der Tänze aus der Lully-Zeit gut getroffen. Aber Ernst Theis erweist sich – wie in der „Mondscheinmusik“ aus „Capriccio“ – als Nummer-Sicher-Dirigent: Der Metrik fehlt die souveräne Gelassenheit, den Phrasen der schwingende Atem, den Übergängen die Raffinesse der Agogik, den Farben die Eleganz. Der „Strauss-Ton“, gebildet aus exquisit zu mischenden Farben und sorgsam hergestellter Balance der Instrumente, will sich nicht einstellen.

Die vielen intimen unter den 57 Veranstaltungen waren es, die wohl mehr als die großformatigen Aufführungen die empfindliche Balance zwischen den Polen von Musik und Sprache ausmaßen. Da war mit Cornelia Froboess als „Artist-in-Residence“ eine Schauspielerin zu Gast, die als Schlagersängerin begonnen hatte und bis heute eine vielfach preisgekrönte Theaterkarriere verfolgt. Sie brachte gemeinsam mit dem Gitarristen Sigi Schwab Heinrich Heine zum Klingen oder las Texte und Briefe von Kurt Weill, seinem Komponistenkollegen Ernst Krenek oder dem großen Kabarett- und Revue-Komponisten der Weimarer Zeit, Friedrich Hollaender.

Und noch ein anderer stand im Fokus des Weill Festes, einer, den man zunächst nicht mit der Moderne verbindet, wohl aber mit der Bauhausstadt: der Dichter Wilhelm Müller, 1794 in Dessau geboren, 1827 ebenda verstorben. Ein Romantiker mit kritischem Geist, mit wachem Blick auf fragwürdige Entwicklungen in der Gesellschaft. Haltungen, die ihn mit Kurt Weill verbinden. Von dem Dichter stammen die Zyklen „Die schöne Müllerin“ und „Winterreise“, die Franz Schubert noch zu Müllers Lebzeiten vertont hat. Sie stehen exemplarisch für die Emanzipation der Musik von der bloßen Begleitung zur Trägerin einer Aussage, die über die Worte hinaus und in ihre Tiefen hineinreicht.

Am Beginn des Festes stand mit „Braver Soldat Johnny“ eine Erstaufführung: Das MDR Sinfonieorchester unter Kristjan Järvi spielte eine instrumental erheblich erweiterte Neufassung der ersten Broadway-Musicals Weills, „Johnny Johnson“. Das Stück mit einem Text des Pulitzer-Preisträgers Paul Green war 1936 für Weill der nötige Erfolg, der ihm den Zugang zum Broadway öffnete. Inhaltlich knüpft es an Jaroslav Hašeks „Soldat Schwejk“ an – eine brillante Politsatire mit einem tristen Ende, ein Bekenntnis des Pazifisten Kurt Weill gegen die groteske Sinnlosigkeit des Krieges.

Das Musical ist in Europa nie richtig zur Kenntnis genommen worden. Immerhin hat das Kurt Weill Fest 2002 in Bitterfeld die originale Fassung gespielt. Die neue Bearbeitung des Komponisten und Produzenten Gene Pritsker – mit Järvi schon aus Studienzeiten bekannt – verwandelt die federleichte Combo Weills in ein süffiges Orchester und liefert dick aufgetragene Filmmusik, die Kristjan Järvi mit der entsprechenden Opulenz in Szene setzt. Das Ergebnis mag nicht überzeugen; Weills Musik wird breiter, aber nicht stärker.

Der Schauspieler Bernhard Bettermann hat das Libretto zurechtgestutzt. Ein Sechser-Ensemble, darin er selbst, Partnerin Mimi Fiedler und Sohn Tim, trägt Dialoge und Songs vor: Das Lesen vom Manuskript funktioniert bei pointierten Musical-Texten nicht, vor allem, wenn gesprochen wird, als habe man die Sätze vorher gerade mal überflogen. Das war eine Stellprobe, keine festivalreife Aufführung. Und über die stimmlichen Ergüsse der Akteure auf der Vorderbühne bleibt besser der Mantel des Schweigens gebreitet; der piepsige Vortrag der Bettermann-Partnerin Mimi Fiedler mag als bezeichnendes Beispiel genügen.

Für das Kurt Weill Fest 2016 sind die großen Linien gezogen. Intendant Michael Kaufmann stellte bei der Abschluss-Pressekonferenz mit dem Geiger Ernst Kovacic den nächsten Artist-in Residence vor. Der Österreicher ist nicht ohne Bedacht gewählt: Er ist Vorstandsvorsitzender der Ernst Krenek Privat Stiftung in Krems (NÖ) – und Weill und Krenek sollen anlässlich des 25. Todestages des österreichischen Komponisten im Mittelpunkt stehen. Geplant sind Aufführungen von Weills „Der Zar lässt sich photographieren“ und Kreneks „Der Diktator“, mit denen die Zusammenarbeit mit dem Anhaltischen Theater unter seinem neuen Intendanten Johannes Weigand erneuert wird.

Fest steht auch, dass Kovacic das Erste Violinkonzert Kreneks spielt, das 1925 in Dessau uraufgeführt wurde. Mit 16.500 Besuchern hat das Weill Fest in diesem Jahr einen neuen Rekord erreicht; mit dem Theater Magdeburg und der Stiftung Moritzburg in Halle sind neue Kooperationspartner im Boot. Die Hoffnung, dass die Theater in Dessau und Magdeburg trotz der desaströsen Sparpolitik der Regierung von Sachsen-Anhalt neue Impulse für szenische Aufführungen von Bühnenwerken Kurt Weills setzen, ist laut Intendant Michael Kaufmann begründet. Von daher darf das 24. Kurt Weill Fest „Krenek, Weill & die Moderne“ mit Spannung erwartet werden. Und für das 25. Fest im Jahr 2017 – Kaufmann hat einen Vertrag bis 2018 – hört man von Plänen, die hoffnungsfroh stimmen.

Werner Häußner

 

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