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100 Jahre Simpl: ZUM LACHEN IN DEN KELLER

01.11.2012 | buch

Julia Sobieszek:
ZUM LACHEN IN DEN KELLER
Der Simpl – 100 Jahre
312 Seiten, Amalthea Verlag, 2012

Es gibt ein Jubiläum zu feiern – 1912 wurde das „Bierkabarett Simplicissimus“ in der Wollzeile 34 (heute ist es Nr. 36) gegründet, und seither haben die Wiener ihren „Simpl“. Ein Kabarett, dessen hundertjährige Geschichte mit der Weltgeschichte und der Geschichte Wiens parallel gelaufen ist und das man heute noch untrennbar mit Karl Farkas in Verbindung bringt, obwohl Michael Niavarani auch schon länger an der Spitze des Unternehmens steht, als man es ihm ansieht. Er hat auch zu diesem Buch das Vorwort geschrieben, in dem die mit dem aktuellen Kabarettgeschehen Wiens eng verbundene Julia Sobieszek die Geschichte des Hauses in aller Ausführlichkeit Revue passieren lässt.

Geboren als „Brettl“, war der „Simpl“ im Grunde nie ein wirklich politisches Kabarett, auch wenn eine grimmige rote Bulldogge sein Wahrzeichen ist – wenn es schmerzlich gegen die Politik gehen sollte, musste man in Wien andere Etablissements aufsuchen. Die Politiker-Veralberung blieb (und bleibt) eher harmlos. Den Reiz des „Simpl“ machten durch alle Zeiten seine Interpreten aus, und lange waren – bevor der einheimische Perser vom Publikum ins Herz geschlossen wurde – die jüdischen Künstler die funkelnden Stars des Hauses.

Es wurde immer viel gesungen im „Simpl“, die anfänglichen Stars kamen aus der Welt von Wienerlied, Operette oder Chanson. Und conferiert haben wirkliche Hochkaliber, etwa Egon Friedell oder schon früh Fritz Grünbaum (und der Leser wird mit vergnüglichen langen Textpassagen von anno dazumal versorgt). Im Oktober 1921 betritt der Mann erstmals die Bühne des Hauses, der später „Mr. Simpl“ sein wird: Karl Farkas. Er und Grünbaum entzücken das Publikum mit ihren „Doppelconferencen“, die der G’scheite und der Blöde sich liefern (und nach dem Krieg wieder funktionieren, weil Farkas in Ernst Waldbrunn einen so hinreißenden Partner findet). Hans Moser, Armin Berg, Hermann Leopoldi – der „Simpl“ der Zwischenkriegszeit braucht sich um große Persönlichkeiten nicht zu sorgen.

Im März 1938 ist vorläufig alles zu Ende – der „Simpl“ schnell „arisiert“, die jüdischen Künstler vertrieben: Es ehrt die Autorin, dass sie ihren Schicksalen weiter folgt (nicht alle überlebten, Fritz Grünbaum starb etwa im KZ, Friedell beging Selbstmord). Es gab ein Exilkabarett, aber auch im „Simpl“ selbst ging es weiter – Paul Löwinger oder Fritz Muliar waren arisch genug für die neuen Herren. Aber seine Größe erreichte man hier erst wieder, als Karl Farkas nach dem Krieg zurückkehrte. Immer im Clinch mit dem neuen (jüdischen) Besitzer Baruch Picker, über den viel zu erzählen (und folglich auch viel nachzulesen) ist.

Gerhard Bronner war hier, bevor er sein eigenes, wirklich scharfes Kabarett machte, Hugo Wiener und Cissy Kraner kehrten wieder (und gingen später im Streit mit Farkas), Maxi Böhm beerbte Armin Berg, Ossy Kolman wurde ein wichtiges Mitglied, Kurt Sobotka desgleichen, das Fernsehen stieg voll ein und hat die Popularität des „Simpl“ (mit den „Bilanz“-Sendungen) weit über Wien hinausgetragen. Auf DVD kann man die „Klassiker“ von damals glücklicherweise immer wieder sehen. Farkas starb 1971.

Der nächste Simpl-Chef Martin Flossmann hat es bei den Wienern so richtig nie geschafft, Michael Niavarani ist in der Gegenwart schon glücklicher. Neben den Nummernrevuen gibt es auch noch die Personality-Shows (vor allem des „Chefs“). Man spielt zwischen 300 und 350 meist ausverkaufte Vorstellungen pro Jahr vor rund 120.000 Zuschauern. Der „Simpl“ hat sich gehalten. Vielleicht, weil die rote Bulldogge es nie auf die blutigen, sondern auf die verspielten „Bisse“ angelegt hat – bis heute.

Renate Wagner

 

 

 

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