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10 CD-Neuerscheinungen – Kurzrezensionen

07.09.2018 | cd

10 CD-Neuerscheinungen – Kurzrezensionen

 

JOSEPH HAYDN: Symphonien, Konzerte – HANS ROSBAUD dirigiert das SWR Orchester Baden-Baden; SWR Classic 7 CDs

 

 

Hans Rosbaud wird in der vorliegenden Box mit Aufnahmen der Jahre 1952 bis 1962 geehrt. Zu Haydn hatte der Grazer Dirigent wohl ein besonderes Verhältnis, wie schon allein die große Zahl an Symphonien und Konzerten beweist, geradlinig kraftvoll und mit gutem Gespür für klassische Proportionen musiziert mit dem von ihm seit 1948 geleiteten SWR Orchester Baden-Baden. Mit seinen frischen Tempi und der für damalige Verhältnisse sensationellen Durchhörbarkeit scheint er das spezielle Auf- und Abphrasieren und die rhythmische Forschheit der Originalklangbewegung vorwegzunehmen. Auch wenn manche Solisten nicht höchsten Ansprüchen genügen (ausgenommen Maurice Gendron Cello) und die Akustik bisweilen trocken klingt, ist sein von der Neugier an  zeitgenössischer Musik hergeleiteter kühl-klarer interpretatorische Ansatz heute mehr als eine Reminiszenz. Für Haydn ist dieses schlanke Musizieren sicher eine Empfehlung, zudem machen viele eher selten zu hörenden Symphonien die Box attraktiv. Als besonderes Schmankerl darf die einzige Stereo-Aufnahme, nämlich die „Abschiedssymphonie“ aus dem Jahr 1958 mit den Berliner Philharmonikern gelten. 

 

 

JOHANN SEBASTIAN BACH/HERBERT BREUER: GOLDBERG VARIATIONEN – Goldberg Septett, Ulrich Noethen Rezitation; Sony CD

 

Eine Kammermusikversion der Goldberg-Variationen, arrangiert für ein Streichertrio, ein Bläsertrio (Flöte, Klarinette, Fagott) und Harfe, und noch dazu unterbrochen von neun textlich starken, gleichwie historisch moralisierenden Zwischentexten von Michel de Montaigne? Bei aller Farbigkeit im Ergebnis werden hier weniger die „Liebhaber zur Gemüths Ergoetzung“ bedient, als ein pädagogisch akademisches Experiment wiederholt. Mir fehlen schmerzlich die Ruhe und hohe kontemplative Kraft der Originalfassung, deren metaphysisch-kosmische und damit räumliche Dimension. Es ist irgendwie so, als wolle man einen präzise in scharfen Strichen gearbeiteten Kupferstich mit Pastellfarben  aufhübschen. Außerdem ist der Vortrag von Ulrich Noethen so dominant und fesselnd, dass der Hörer eher den Eindruck hat, die jeweils zwei bis drei Minuten langen Texte seien die Hauptsache und die Musik bloß Lückenfüller. Also nun haben wir bei Montaigne soeben gelernt, „mit Geld vernünftig umzugehen“, „den Tod nicht zu fürchten“ aber auch „lachend die Wahrheit“ zu sagen, wie das dieser grandiose französische Philosoph in seinen Schriften so trefflich zu formulieren wusste. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.

 

 

SCHWANENGESÄNGE von SCHUBERT, BRAHMS, BARBER und BERNSTEIN  – CHRISTIAN IMMLER; Cavi Music CD

 

Ein klug rund um die Themen „Abschied, Bedauern, Verlust und Tod“ arrangierter vokaler Strauss an poetisch lyrischen Kostbarkeiten. Der deutsche Bariton Christian Immler singt diese Lieder mit vollem vokalen Einsatz und artikulatorisch erreichte Expressivität, ohne irgend welche emotionalen Risiken zu scheuen. Im Forte kommt der Draufgänger da schon mal an die Grenzen, fesselnd bleibt sein Vortrag allemal. In Christoph Berner hat er einen kongenialen Pianisten gefunden. Bei Leonard Bernsteins raren „Arias and Barcarolles“ für Mezzo und Bariton für Klavier zu vier Händen wird Immler von Anna Stéphany (Mezzo) sanglich und dem goldenen Händen von Danny Driver und Silvia Fraser am Klavier behutsam begleitet. Kaum je habe ich Schuberts für das Album sechs ausgewählte Lieder aus „Der Schwanengesang“ dichter und emphatischer gehört. So schön gruselig und morbid, könnte man sagen. Ganz anders die jazzig im Broadway-Licht glitzernden bis absurd-abstrusen Bernstein-Lieder, die einer Ehekrise, einem Hochzeitsgeiger und ja, auch einem verloren geglaubten Plüschhasen huldigen. Auch solche Szenen vermag der ausdrucksbesessene Sänger glaubwürdig vermitteln.

 

 

THE SECRET FAURÉ: Orchesterlieder und Suiten – OLGA PERETYAKO, BENJAMIN BRUNS, Balthasar-Neumann Chor, Sinfonieorchester Basel, Ivor Bolton – Sony CD

 

Auch wenn die Orchesterlieder an erster Stelle am Cover beworben werden, sind doch nur vier Lieder für Sopran und Orchester mit einer Spieldauer von knapp über zehn Minuten zu hören. Der Löwenanteil der CD ist der großen Orchestersuite „Pelléas et Mélisande“, den Konzertversionen der Bühnenmusiken zu Edmond Haraucourts Komödie „Shylock“ nach Shakespeare für Tenor und Orchester sowie zu „Caligula Op. 52. nach dem Drama von Alexandre Dumas für Frauenchor und Orchester  gewidmet. Das Vorspiel zur Oper „Pénélope“ steht auch auf dem zwar ambitionierten, mangels dramatischer Pranke des Komponisten aber auch einförmigen, allzu harmlosen Programm. Sicher gibt es magisch zarte und poetische Momente, wie sie aus dem  verträumten Requiem von Fauré geschätzt werden. Insgesamt herrscht über weite Strecken eine naiv blumige Lieblichkeit und melancholisch pastellfarbene  Galanterie im Ton, was einen eben nicht gerade vom Hocker reisst. Daran können auch so beherzte und erfahrene, allerdings zu opernhaft und vibratoreich auftretende Solisten wie Olga Peretyatko und Benjamin Bruns nichts ändern. Für Raritätensammler.

 

 

RICHARD STRAUSS: EIN HELDENLEBEN, BURLESKE – DENIS KOZHUKIN, Netherlands Philharmonic Orchestra, Marc Albrecht; Pentatone CD

 

 

Wer Friedrich Guldas oder Glenn Goulds Interpretationen der einsätzigen „Burleske in d-Moll“ schätzt, wird auch Denis Kozhukin lieben. Jugendlich unbeschwert und voller Angriffslust nimmt der russische Virtuose auch die vertracktesten Hürden der technisch immens anspruchsvollen Partitur des gerade einmal 21-jährigen Richard Strauss. Mit rein pianistischen Mitteln übertragen sich sowohl Brahms‘sche Schwärmerei, die schlenkernd schelmische Ironie als auch der walzerhafte Schwung des genialen Jugendwerks. Marc Albrecht lässt hier die Pauke genau so krachen wie er dem „Heldenleben“ majestätisch augenzwinkerndes Pathos zuteil werden lässt. Eines ist sicher: Der langjährige Chefdirigent der Nationale Opera in Amsterdam, des Netherlands Philharmonic und Netherlands Chamber Orchestra hat ein Händchen für Richard Strauss. Er lässt die Musik sinnlich aufblühen, spannt weit atmende Bögen genau so wie er lustvoll die Charakteristika der einzelne Instrumente auch bei allergrößter Besetzung wie im Heldenleben noch genüsslich auskostet. Die überragende Tonqualität ist ein zusätzliches Atout der ohne Einschränkung zu empfehlenden Neuaufnahme. 

 

 

MOZART/BEETHOVEN: Quintette für Klavier und Blasinstrumente – Ensemble Dialoghi, harmonia mundi

 

So verspielt und wandelbar wie auf dem Comedia dell’Arte Coverfoto und der dann ungeschminkten Variante auf dem das Booklet zierenden Porträt spielt diese wunderbar beinahe ihre Parts singen zu scheinende junge katalanische Formation die Quintette für Klavier und Bläser von Wolfgang Amadeus Mozart in Es-Dur, KV 452 und von Ludwig van Beethoven ebenfalls in Es-Dur, Op. 16. Hammerklavier, Oboe, Klarinette, Horn und Fagott, alle auf zeitgenössischen Instrumenten gespielt, treten in einen frechen Diskurs, scheinen miteinander zu plaudern, zu scherzen, zu zanken. Die Mitglieder des Ensembles Dialoghi spielen einander die musikalischen Bälle zu, dass es eine rechte Freude ist. So entstehen kecke theatralische Wiedergaben, wo jeder Fingergriff,  Phrasierung, Temporegie, Artikulation, Farben, Kontraste zu dramatisch effektvollen, teils humorigen kammermusikalischen Interpretationen beitragen. Amüsement, Überraschungen und Emotionen, das wünschen uns zumindest diese ausdrucksstarken Musiker, die ich am Ende einzeln vor den wohlverdienten roten Samtvorhang bitten will: Cristina Esclapez Hammerklavier, Josep Domènech Oboe, Lorenzo Coppola Klarinette, Pierre-Antoine Tremblay Horn (Nachbau eines Wiener Anton Kerner 1760), Javier Zafra Fagott. 

 

 

RAMEAU/COUPERIN – Musik für Cembalo, von CLÉMENT LEFEBVRE brillant auf Klavier übertragen – evidenceclassics CD

 

Ein Album wie ein achtzehngängiges Trüffelmenü mit Champagnerbegleitung: So eindrücklich intensiv und moussierend zugleich lässt der temperamentvolle Pianist Clement Lefebvre die ausgewählten Stücke aus dem 3. und 4. Buch der ‚Pièces de clavecin‘ aus dem Jahr 1730 von François Couperin und die sieben Kostproben aus dem ‚3. Buch der Pièces de clavecin ou Novelle Suites de Pières de clavecin‘ von Jean-Philippe Rameau auf seinem Yamaha CFX erklingen. Wie sich später in der Musikgeschichte als assoziativ zusammengehörende Komponisten-Paarbildungen à la Debussy und Ravel für den Impressionismus sowie Mozart und Haydn als Symbole der Wiener Klassik heraus entwickelten, so waren Couperin und Rameau wahre Dioskuren, was die Musik des französischen Barock betrifft. Die beiden dürften sich zu Lebzeiten zwar nie persönlich begegnet sein, symbolisieren aber mit ihren exquisiten Werken für Cembalo den Esprit des “Grand Siècle”. Lefebvre hat Brillanz, weiß die stilistischen Freiheiten, die überreiche Harmonik und die orchestrale Wucht der Stücke bei Rameau genau so auzukosten wie die zarte Intimität und delikate Poesie der programmatisch betitelten Stücke von Couperin. Lefebvre überträgt so den ‚Tagesanbruch‘, den ‚Harlekin‘, einen ‚Aal‘, die ‚Strickerinnen‘, die ‚kleinen Windmühlen‘, eine ‚Pantomime‘ oder das ‚Zubettgehen‘ in anschaulich imaginative Töne. Großartig, wie er die größere Farbpalette, die höhere Bandbreite der Anschläge, alle dynamischen Kontraste des modernen Flügels zu nutzen weiß. 

 

 

CAMILLE SAINT-SAENS: Werke für Violine und Orchester – TIANWA YANG, GABRIEL SCHWABE, Malmö Symphony Orchestra; Marc Soustrot, NAXOS CD

 

 

Naxos liebt Serien und setzt die Erarbeitung aller Werke für Violine und Orchester von Camille Saint-Säens mit dieser CD fort. Auf dem Raritätenprogramm stehen die “Introduction et Rondo capriccioso“, die “Caprice andalou”, ein “Morceau de concert” und “La Muse et le Poète”. Dank hervorragender Solisten wie Tianwa Yang (Violine) und Gabriel Schwabe (Cello) wird wieder einmal schmerzlich klar, wie eng und einfallslos das gängige Konzertrepertoire im Schnitt ist. Neben dem großartigen Opernkomponisten, dem auch mit bislang unbekannten Opern durch die Aufnahmetätigkeit des Palastes Brut San Gerechtigkeit wiederfährt, lohnt es auch, den Meister unwiderstehlich einfallsreicher wie sinnlicher Instrumentalmusik zu entdecken.   

 

 

DVORAK/SUK: Orchesterwerke mit Violine solo – Eldbjørg Hemsing BIS Records – Böhmische Wälder im Nordlicht

 

 Erscheint am 28. September 2018

 

Antonín Dvořák und Josef Suk sind die nächsten musikalischen Stationen der norwegischen Geigerin, die schon mit 11 Jahren debütierte und mit ihrer CD-Premiere – Werke von Hjalmar Borgström, Dmitri Shostakovich – für Furore bei Presse und Musikliebhabern sorgte. Jetzt holt Hemsing  bei aller romantischen Grundierung und eloquent phrasierten tschechischen Idiom sowohl das Violinkonzert von Dvořák Op. 53 als auch die “Fantasy” von Josef Suk  Op. 24 aus der Kuschelecke. Sie spielt selbst die kleinsten Noten und Verzierungen mit einer Präzision, als gelte es dem Kontrapunktiker J.S. Bach gefallen zu wollen, weiß aber auch die weiten Bögen wie eine tönende Luftbrücke sicher und mit großem Atem zu spannen. Ihr feiner Sinn für nuancierte Klangvaleurs, eine ausgefeilte Bogentechnik und die eminent erzählerische Faktur mögen genügen, um auch in diesem auf Tonträgern reich dokumentierten Standardrepertoire noch einen guten Platz einnehmen zu können. Ihre verlässlichen Partner sind hier das Antwerp Symphony Orchestra unter der Leitung des Chefdirigenten der Astana Opera in Kazakhstan Alan Buribayev. Eigentlich hätte ja das die Debüt-CD werden sollen, wegen des höheren Repertoirewerts hat man sich klugerweise aber für Borgström entschieden. Ab sofort wollen wir wieder Raritäten oder Zeitgenössisches von dieser wunderbaren Musikerin hören.

 

 

KLARINETTENKONZERTE – umfangreiche ‚Anthologie‘ von Brilliant Classics

 

 

Für alle Freunde von Orchesterwerken mit Klarinette solo, die ihre geliebten Dauerbrenner von Mozart oder Carl Maria von Weber schon hunderte Male rauf und runter gehört haben, gibt es jetzt eine tolle Box: Das Instrument wurde musikgeschichtlich ziemlich spät, nämlich erst zu Beginn des 18. Jahrhunderts entwickelt, ab 1740 gibt es die ersten Konzerte. Die neue Publikation wartet u.a. mit Raritäten von Johann Melchior Molter über Max Bruch, Franz Krommer, Bernhard Crusell, Silvio Mercadante, Heinrich Baermann, Franz Anton Hofmeister, Gioachino Rossini und Felix Mendelssohn bis hin zu Ferruccio Busoni, Gerald Finzi, Charles Villiers Stanford, Aaton Copland, Carl Nielsen, Alexandre Tansman, Paul Hindemith oder Julius Rietz auf. Als Solisten auf der 14 CD Box sind  Dieter Klöcker, Sharon Kam, Kálmán Berkes, Davide Bandieri, Maria du Toit oder Giovanni Punzi zu hören. Natürlich ist es eine Zusammenstellung von Aufnahmen, die im Laufe der Zeit entstanden sind und auch ursprünglich von verschiedenen Verlagen kommen, also nicht nur Neuaufnahmen, dh mit unterschiedlichen akustischen Ausgangslagen und aufnahmetechnischen, in der Regel jedoch hohen Standards. Zum Kennenlernen!

 

Dr. Ingobert Waltenberger

 

 

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