BALLKRITIK: MUSIKVEREIN (alle Säle): 80.BALL DER WIENER PHILHARMONIKER am 19.1.2023
Foto: Robert Quitta
Nach allzu langer pandemiebedingter Zwangspause konnte jetzt endlich wieder der Philharmonikerball im Wiener Musikverein stattfinden – zum mittlerweile 80.Male. Das kollektive Aufatmen war sowohl im Goldenen Saal als auch in allen anderen Sälen fast mit Händen zu greifen. Und auch in jedem persönlichen Gepräch wurde als erstes betont, wie froh und glücklich man denn sei, endlich wieder unter anderen Menschen zu sein, tanzen und trinken und parlieren zu dürfen – fast so wie früher…
Musikalisch eröffnet wurde – in Anwesenheit zahlreicher Prominenz ( Plácido Domingo, Anna Netrebko, Bundeskanzler Nehammer, zahlreiche EU-Abgeordnete von der ÖVP und den NEOS, Staatsopern-Musikdirektor Philipp Jordan, Günther Groissböck, Tobias Moretti mit wiedergenesener Gattin, Alt-KHM-Direktor Seipel etc.) – so wie immer mit der Wiener Philharmoniker-Fanfare, die Ehrenmitglied Richard Strauss 1924 für den allerersten Ball 1924 komponiert hatte. Darauf folgte die Uraufführung eines brandneuen Werkes, das Philharmonikervorstand Froschauer beim oscarpreisgekrönten amerikanischen Filmkomponisten John Williams verdienstvollerweise in Auftrag gegeben hatte. Dieser lehnte zwar ab, einen Walzer zu verfassen, konnte sich aber für die Idee erwärmen, in der Nachfolge Richard Strauss’ dem Orchester eine neue, posaunenbasierte Fanfare zu widmen: Fanfare for the Vienna Philharmonic Ball.
Etwas weniger interessant dann der orchestrale Auftakt, denn „Balldebütant“ Andris Nelsons hatte dafür die etwas zu populäre und etwas zu leichtgewichtige Ouvertüre zur „Leichten Kavallerie“ von Franz von Suppè (nicht Suppe!) ausgewählt.
Donauwalzer. Foto: Robert Quitta
Beeindruckend hingegen die Leistung des Jungdamen – und Jungherrenkomitees, die eine äußerst komplizierte Choreographie des Tanzschulenpapstes Schäfer-Elmayer zu Musik von Aram Khachaturian (Walzer aus Masquerade) und Johann Strauss Sohn (Hellenen-Polka) in bewunderungswürdiger Weise präzise umzusetzen wussten.
Mitternachtsquadrille. Foto: Robert Quitta
Der Rest des Abends verging freudig wie im Fluge mit zwei überfüllten Quadrillen um Mitternacht und um 2 Uhr früh bis hin zum elegisch-melancholischen „Brüderlein fein“ kurz vor 5…
Nur ab und zu deutete ein kleines Zeichen darauf hin, dass die Pest zumindest aus den Seelen der Menschen noch nicht ganz verschwunden ist: gelegentlich erblickte man eine vereinzelte, übervorsichtige junge Ballbesucherin, die noch eine FFP2-Maske trug wie in finstersten Zeiten, und insgesamt war das Tanzparkett nach 2 Uhr noch etwas schütterer besetzt als sonst (wobei ich nicht der Meinung bin, dass ein Ball nur dann ein Erfolg ist, wenn sich die Tänzerinnen wie im Autodrom permanent gegenseitig anrempeln)…
Darüber hinausgehend, wären den Ballorganisatoren einige grundsätzliche Fragen zu stellen. In den 50er und 60er Jahren hielt man in Österreich ja viele Dinge für modern und fortschrittlich: Jazz-Messen, elektronische Barockmusik, Resopal-Tische, Tiefkühlnahrung, Glykol-Weine, verbaute Bäche und Stadtautobahnen etc…
Mittlerweile hat in all diesen Bereichen eine radikale Rückbesinnung und ein radikaler Rückbau begonnen. Nur beim Philharmonikerball glaubt man immer noch, dass man mit der Einrichtung einer Disco und eines hässlichen Heurigen (mit Lederhosenmusik) und dem Engagement einer Danceband (auf der Bühne des Goldenen Saals !), die alte Sinatra-Hadern spielt wie in einem Dorfwirtshaus in der Provinz, „auf der Höhe der Zeit“ und cool ist. Mitnichten. Ganz im Gegenteil !
Liebe geschätzte, verehrte Wiener Philharmoniker, ihr verdient jedes Jahr Abermillionen damit, dass ihr die wunderbarste Tanzmusik aller Zeit in höchster Qualität, aber in widernatürlicher Weise und vor allem zweckentfremdet stocksteifen Japaner/innen, die in den zu engen Sitzen des Musikvereins,min Kimonos eingeschnürt, das ganze Neujahrskonzert lang keine Miene verziehen (bevor sie dann beim Radetzymarsch wie wild darauf lospaschen)…Wäre es zu viel verlangt, dass ihr Euch dann bei Eurem BALL auf Eure ureigenste Kernkomptenz, Euren Markenkern, Eure Tradition besinnt und dieses musikalische Weltkulturerbe mit Sorgfalt und Liebe, historisch informiert, in klassischer Weise angemessen im Sinne der Komponisten präsentiert? Das würde nicht nur Euch zur Ehre gereichen, sondern auch der „Welthauptstadt der Musik“ als Ganzes. Zumal ja auch das JOHANN STRAUSS JAHR naht…
Ich danke für die geschätzte Aufmerksamkeit.
Robert Quitta, Musikverein