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WE NEED TO TALK ABOUT KEVIN

02.10.2012 | FILM/TV

Ab 5. Oktober 2012 in den österreichischenKinos
WE NEED TO TALK ABOUT KEVIN
USA / 2011
Regie: Lynne Ramsay
Mit: Tilda Swinton, John C. Reilly, Ezra Miller u.a.

Das ist ein Film, den ursprünglich niemand machen wollte, und das versteht man voll und ganz. Denn es gibt Dinge, die so schrecklich sind, dass man sich am liebsten mit der Vogel-Strauß-Methode schützen möchte: Was ich nicht sehe, ist nicht, wenn ich nicht hinsehe, geht es mich nichts an. Aber die Realität lehrt uns, dass das Böse existiert, und die Kunst ist nicht zuletzt dazu da, uns darüber nachdenken zu machen. Dennoch – ob „We Need to Talk About Kevin“ hierzulande in die Kinos gekommen wäre, hätte es nicht vor nicht allzu langer Zeit die grausigen Attentate in Norwegen und den USA gegeben, wo Jugendliche zu Massenmördern an ihresgleichen wurden, möchte man bezweifeln.

Hier erzählt die schottische Regisseur Lynne Ramsay nach einem Roman von Lionel Shriver Kevins Geschichte aus der Sicht seiner geplagten Mutter. Zu Beginn ist der Sechzehnjährige nach dem von ihm verursachten Massaker im Gefängnis, und wir erleben das Geschehen im Rückblick. Und sehr bald stellt sich angesichts dieses Kindes die Frage: Gibt es das an sich Böse? Und was kann eine Mutter tun, wenn sie es in ihrem Kind erkennt – und unfähig ist, ihn zu beeinflussen? Wenn man die einäugige kleine Schwester sieht, weiß man schnell, wer dafür zuständig ist (und man bekommt es später bestätigt). Und wenn die Dinge, die Kevin sich im Versandhandel schicken lässt, später dazu dienen, die Schulkollegen einzusperren und zu killen, ist man auch nicht überrascht. Psychologen mögen sagen, was sie wollen – es gibt das Böse.

Und Eva, die Mutter, erkennt es in Kevin. Doch immer, wenn sie ihrem Gatten sagt: „We need to talk about Kevin“, wir müssen über unseren Sohn sprechen, dann weicht dieser aus. Will sich mit dem, was er auch sehen und erkennen muss, gar nicht auseinandersetzen, spielt es herunter, schiebt es weg. John C. Reilly ist der Durchschnittsmann, dem das Schicksal mit diesem Sohn zu Schweres auferlegt. Tilda Swinton als Mutter muss sich damit auseinandersetzen. Sie ist ein einziges Bündel von Schmerz, Verzweiflung und Fassungslosigkeit. Wir sehen ihr zu bei dem Versuch, weiterzumachen, sich aufrecht zu halten, in ihren Bemühungen um Kevin nicht aufzugeben. Mit welch lustvolle, ausgeklügeltem Sadismus erst Jasper Newell als etwa Achtjähriger, dann Ezra Miller das Böse vollzieht – es gehören Nerven dazu, das mitanzusehen.

Es ist Evas Geschichte, das erste Opfer der endlosen Sadismus-Kette ihres Sohnes. Man erlebt auch mit ihr, wie sie von den Frauen in dem kleinen Ort, wo sie wohnen, attackiert wird – grausam, aber nicht gänzlich unverständlich, sind doch die Kinder dieser Frauen Opfer von Kevins Mordlust geworden. Schließlich sind wir dabei, wenn sie den Sohn zum zweiten Jahrestag des Ereignisses im Gefängnis besucht (und der nun 18jährige in eine Strafanstalt für Erwachsene überstellt werden wird). Was geht in seinem Kopf vor? Wir wissen es nicht. Und es ist wohl nicht so, dass die Regisseurin das nicht zeigen will, um das Publikum durch einen Trick in Ungewissheit zu belassen.

Nein, das ist wohl die Tatsache, die wir im Auge behalten müssen – wir sehen in die glatten jungen Gesichter von Anders Behring Breivik vor Gericht in Oslo, von James Holmes aus Colorado, und wir wissen nicht, was in ihnen vorgeht. Es gibt Dinge, da muss der Mensch zugeben, dass das Schrecklichste auf dieser Welt der Mensch ist.

Renate Wagner

 

 

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